: Ab sofort nur noch Blut, Schweiß und Tränen
■ Das war 1991: Kurzer Rückblick auf ein Jahr voller schöner Höhepunkte
Ruhen Sie sich gut aus, legen Sie die Beine auf den Couchtisch und blinzeln Sie zum kraftspendenden Tannenbaum. Denn im nächsten Jahr, so viel ist klar, wird alles schlimmer: Wie wir darauf kommen? Ganz einfach. Wir haben einfach einmal das Archiv der taz 1991 durchgelesen und sind zu dem definitiven Urteil gekommen: Es war ein prima Jahr, von nun an muß es bergab gehen.
Was fehlt in Zukunft?
Nehmen wir doch nur den Jahresbeginn: Welch ein Höhepunkt für alle Friedensbewegten. Die Menschen strömten auf die Straßen, um den Verkehr zu blockieren, es wurde öffentlich geweint, auf dem Marktplatz brannte durchgehend ein Lagerfeuer und ein reisender Ludwig mit samt protestierendem Pferd avancierte zum Liebling der Medien. Der Krieg am Golf ging schneller zu Ende, als viele befürchteten. Und damit war es zu Ende mit der öffentlichen Friedensbewegtheit.
Die Friedensbewegung
Jetzt knallt und bombt es zwar Mitten in Europa. Doch in Jugoslawien ist es halt nicht so einfach mit Gut oder Böse, die Amerikaner schießen auch nicht mit und so bleiben die Menschen zwar erschreckt, aber ruhig hinter ihrem Ofen sitzen. Und buchen andere Urlaubsziele.
Was wird uns nicht noch alles fehlen außer den friedensbewegten Zeiten. Zum Beispiel die absolute Mehrheit der SPD. Wie schön und einfach war es doch, immer auf den gleichen Sack zu hauen, wohlwissend, daß immer irgendwie die Richtigen getroffen werden.
Zum Beispiel Claus Grobecker: Wer schreibt jetzt noch so schöne Briefe, die mit „Lieber Detlev“ anfangen und „Der Rektor haut in'n Sack“ weitergehen? Wer brüllt künftig bei Haushaltsberatungen in der SPD-Fraktion so laut, daß es noch vor der Bürgerschaft zu hören ist? Wer setzt sich künftig ins Fernsehstudio einzig in der Absicht, auf keine Frage eine Antwort zu geben? Er wird uns fehlen. Und: Er hat eine Belohung verdient. Deshalb schreiben wir hiermit einen letzten öffentlichen Brief an den Ex- Finanzmann im Wartestand: „Lieber Grobi, der Chef der Landeszentralbank haut in'n Sack. Dadurch eröffnet sich die Chance, Dir eine angemessene Versorgung zu verschaffen. Da müßtest Du dann fast nix mehr tun, hättest aber Doppelt soviel davon.“ So isses.
Grobeker, Sakuth und Kunick
Aber es waren ja auch noch andere in dem SPD-Sack: Der nette Peter aus Gröpelingen, später Liebling des renitenten SPD-Unterbezirks West, und bevorzugter Watschenheini des Bürgermeisters. Wir erinnern uns nicht ungern an die Nehmerqualitäten, die Sakuth zeigte, wenn es darum ging, komplette Fische zur Eröffnung der Matjeswoche zu verschlingen oder die Geberqualitäten, wenn er pflichtgemäß auf Bierfässer einschlug. Daß er sich bei all dem öffentichen Streß von seiner Polizei eine falsche Kriminalstatistik unterbuttern ließ und gleichzeitig so fest an seine Beamten glaubte, daß schließlich erst ein Gericht ihn eines Besseren belehren mußte, das hätte ihm erspart bleiben können, wenn er denn nur auf Gustav Heinemanns alten Lehrsatz gehört hätte: „Ich glaube nur Statistiken, die ich selbst gefälscht habe.“
Oder Konrad, dieser Zuspätgekommene mit dem tragi-komischen Angriff auf seinen alten Weggefährten Wedemeier. Erst lud der Bürgermeister die schwerern Baubrocken von Kongreßzentrum bis Wohnungsnotsand auf dem Mann vom Hafen ab, dann nahm er ihm die Kompetenz für den Verkehr und macht sich selbst zum Herr über weiße Striche und Tempo 30-Zonen und zu schlechter Letzt setzte er seinen treuen Eckermann ratz-fatz vor die Rathaustür. Und was tat Kunick jetzt: Erst wollte er SPD- Vorsitzender werden und dann versuchte er gegen Sinn, Verstand und eigene Partei kurzfristig den Bürgermeister zu stürzen. Für diese taktische Meisterleistung verleihen wir den Orden: „Vier Jahre auf die Hinterbank.“
Den Titel: „Mannomann des Jahres“ gebührt dagegen ohne Zweifel dem Bürgermeister. Erst bügelte er seiner Partei die Wahlkampfstrategie „Lieber Klaus statt SPD“ über. Dann entmündigte er seinen Senat, indem er hinter jedem Behördenpups eine Chefsache witterte.
Gesetzestreue
Die rechte Witterung hatte der Bürgermeister auch, als er dann im Juli kurzerhand Asylbewerbern aus Polen und Rumänien ein Schild „Unerwünschte Personen“ entgegenhielt. Da hatte seine Sozialsenatorin Sabine Uhl längst den Überblick verloren, wer denn nun in welchem Bunker von wem zu essen bekam. Dem Innensenator wurde urplötzlich klar, daß seine Beamten im Ausländeramt irgendwie den Blick nicht mehr hinter den Akten hervorbekamen. „Wenn wir mit den Gesetzen nicht mehr klar kommen, dann werden sie eben gebrochen“, beschloß der Bürgermeister und seine Lemminge folgten ihm, bis zum Wahlabend.
Das kleine Minus von knapp dreizehn Prozent verkraftete der liebe Klaus dann ohne zweimal mit der Wimper zu zucken, überrannte das nächste Stoppschild und hielt erst wieder, als er die nächstbeste Ampel erreicht hatte. Doch darüber reden wir jetzt definitiv nicht. Lieber erinnern wir uns an die Worte des Grünen Martin Thomas. Der, immer ein bißchen der Zeit voraus, hatte im April die Bürgerschaftswahl zu einer Richtungswahl zwischen rot-grün und rot-geld deklariert. Wesentlich mehr prophetische Gabe zeigte am selben Tag der SPD-Fraktionsvorsietzende Claus Dittbrenner, als er eine 44 Prozent Umfrage für die SPD so kommentierte: „Das habe ich mir noch viel schlimmer vorgestellt.“ Dittbrenner verdient noch aus einem anderen Grund öffentliche Erwähnung in der Jahresabrechnung: Als erster machte er deutlich, was die SPD unter personeller Erneuerung an Haupt und Gliedern versteht: In seiner Fraktionsspitze schaffte er erneut den kompletten Proporz unter weitestgehender Beibehaltung des alten Personals. Alle Achtung.
Achtung verdient auch einer, der in Windeseile aufstieg, um gleich wieder runterzufallen. „Geld, Schulden, Finanzen, Solidität, Wurstvorrat.“ Mit diesen Versatzstücken einer Rede nödeldödelte er durch die Lande, um die Roten das Fürchten zu lehren.
Ein Spitzenkandidat
Daß er nun im Bürgerschaftsvorstand zu seinem 40.000 Marks- Gehalt bei der Sparkasse auch noch kräftig nebenverdient, sagt uns vor allem zweierlei: Um die Finanzen von Ulrich Nölle muß uns nicht bange sein, um seine politische Karriere aber umso mehr. Obwohl wir uns für das kommende Jahr fest vornehmen:: Manche Sorgen machen wir uns einfach nicht mehr. Und daß Ulrich Nölle just an dem Tag zum Spitzenkandidat gekürt wurde, als Aribert Galla aus der Unter-
suchungshaft entlassen wurde, das buchen wir auch unter der Überschrift „Zufall“ ab.
Gar nicht zufällig aber war die Wiederauferstehung eines anderen Ganoven. Ganz plötzlich, die Bremer hatten gerade gewählt, stand Horst Kieselhorst im Fernsehzimmer, lachte laut und freute sich seines Beutezuges. Nachdem die taz allerdings öffentlich die Frage aufgeworfen hatte, ob erraubtes Geld steuerpflichtig ist und Kieselhorst zwei tage danach in den Knast einfuhr, da haben wir uns doch kurz Vorwürfe gemacht. Manche Fragen sollte man nicht stellen, zumindest nicht wenn rachsüchtige Generalstaatsanwälte ihres Amtes walten.
Vieles gäbe es noch zu erzählen: Von Sparkassendirektoren, die Kultureinrichtungen erpressen, von Radio-Moderatoren, die sich als Werbeonkels verdingen und in der Freizeit Fußballver-
eine in den Bankrott führen, von Fußballtorhütern, die sich auf Eigentore spezialisieren, von weißen Strichen auf Straßenbahngleisen und rasenden Anwohnern, die Null Bock auf Drogenhandel, Straßenstrich und Wohnungseinbrüche haben. Doch so scheußlich vieles gewesen ist, insgesamt war es doch ein schönes Jahr, vom verregneten Juni einmal abgesehen.
Schön spannend vor allen Dingen. Und dafür haben die Bremer Grünen gesorgt. Erst schalten Sie die Ampel auf Gelb, dann auf Grün, dann auf Knallrot und schließlich mit vereinten Kräften wieder auf Grün. Aber von wegen Umfallerpartei. Ein Blick aus dem Fenster auf die Straßenkreuzung zeigt: Es war alles fast wie im richtigen Leben.
Ein Beiratsmitglied
Und zum Schluß noch das wahre Wort des Jahres. Wir zitieren dafür aus der taz vom 14.3.1991: „Nach ganz unten führt der politische Weg jetzt den ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten und Bundesvorstandspecher der Grünen, Ralf Fücks: Er läßt sich von seiner Partei als Mitglied in den Beirat Östliche Vorstad schicken. 'Ich möchte die Chance nutzen, Politik einmal direkt an der Basis zu machen', sagte Fücks am Dienstag abend. Auf Dauer will sich Fücks allerdings nicht an der Beirats-Basis betätigen.“ Das neue Fücks-Motto für's kommende Jahr heißt jetzt: „Ein bißchen Blut, Schweiß und Tränen.“
Wie gesagt: Es war eine schöne Zeit. Holger Bruns-Kösters
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