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Ein schöner Verlierer

■ Die »Nachtigall von Ramersdorf« singt

Wenn man mit Friedrich Steinhauer, der »Nachtigall von Ramersdorf« zusammensitzt und redet bei Malzbier oder Pfefferminztee, denkt man oft ans fröhlich-existentialistische Donald-Duck-Prinzip: aufstehen — scheitern, wieder aufstehen — wieder scheitern.

In jeder Geschichte, die er erzählt, wimmelt es von Filmprojekten, die irgendwie dann doch nicht klappen, von Regisseuren, die ihn übers Ohr gehau'n haben, von traurigen Kindheitserlebnissen, scheußlichen Teufelsaustreibungen, von kleinen oder großen Mißgeschicken. Wo man jedoch selbst Freunde irgendwann genervt unterbricht, wenn sie nur von den Gemeinheiten berichten, die das Leben an ihnen vergnügt verübt, ist Friedrich Steinhauer ein schöner Verlierer. (Manchmal kann er ein bißchen anstrengend sein, bei seiner ständigen Suche nach neuen Projekten. Wir lieben ihn trotzdem sehr! D.Red.)

Seine Lebens- und Kunst-Kunst wandelt sich ins Schöne und Lustige, wenn er erzählt. Und wenn er singt, so vermag er wie wenige nur die gekränkten, nie die selbstzufriedenen Herzen seiner Zuhörer zu bewegen.

Der hagere Sänger und Schauspieler, der die sympathische Angewohnheit hat, alle potentiellen Feinde anstatt in kreisenden Gedanken oder real, mit Worten zu zerfetzen, lebt inzwischen im Scheunenviertel. Bei seinen spätsommerlichen Auftritten im Babylon oder im Checkpoint hatte man das Gefühl, seine Kunst finde mehr als im Westen Antwort in der gedemütigten Seele der Ostler (vielleicht ist das auch Quatsch).

Eine wunderbar schlecht aufgenommene Kassette von Friedrichs letztem Auftritt im Checkpoint fand ihren Weg in den Briefkasten. Eine junge Schweizer Künstlerin, die die Nachtigall sehr verehrt, hatte sie geschickt, zwei Geschichten hinzugefügt, deren Held Friedrich Steinhauer ist, und am Ende ihres Briefs versichert: »Friedrich ist 32 Jahre alt. Er trägt in letzter Zeit nur mehr selten Perücke und selten raschelnde Plastiktüten.«

Barbara Stromers Geschichte mit Friedrich zeichnet aufs schönste die Schalkhaftigkeit des Künstlers. Denn Friedrich Steinhauer ist jemand, der ritterlich zwar die Rechnung seiner Gäste begleicht, geschwind wie der Wind und »schneller als die Polizei erlaubt« (Friedrich) jedoch verschwindet, um die Zeche fürs eigene Essen zu prellen. »Wir sind uns einig«, schreibt Barbara Stromer: »Es ist besonders schwierig, kein Idiot zu sein.«

Jenseits der Arschlochpartys und im Laufe der Jahre hat sich die Kunst der Nachtigall jedenfalls weiterentwickelt. Aus dem traurig begeisterten Sänger, der seit acht Jahren die Berliner Kneipenwelt ärgert oder begeistert, ist ein Entertainer geworden, der die Geschichten, die er zuvor nur am Tisch erzählte, nun auch auf der Bühne einzusetzen weiß.

Als unbedingter Künstler gilt ihm die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben nichts. Er vervielfacht seine Wirklichkeit; variiert seine Erlebnisse zuweilen aufs schönste, auf daß sich die Realität auf der Bühne in die schöne Erfindung verliebt. Die Geschichten, die meist hoffnungsvoll beginnen, enden fast immer mit einem »... und dann ist es wieder nichts geworden«.

Manchmal gibt es die Niederlage, die in ihrer Erzählung zum Sieg wird und manchmal auch den Verzicht, der den Sieger brüskiert, gar zerschmettert: »Der Didi Hallervorden war der Hauptdarsteller in der Nonsens- Schau in München. Ich war Nebendarsteller, und da hab' ich drei Wörter von ihm genommen und er hat gesagt: ‘Das können Sie doch nicht machen. Sie können mir doch nicht drei Wörter wegnehmen!‚ Da hab' ich gesagt: ‘Aber entschuldigen Sie doch bitte. Sie werden doch da kein Interesse haben für diese drei Wörter, die ich gerne sprechen möchte.‚ Hat er gesagt: ‘Das sind meine drei Wörter, die gehören zu meiner Rolle und die muß ich haben.‚ Da hab' ich gesagt: ‘Dann nehmen Sie eben Ihre drei Wörter. Ich brauch' auch nicht mehr mitmachen.‚«

Er macht woanders weiter; allein oder zu zweit, mit einer sehr schönen Klavierbegleitung im Checkpoint. Mal swingt er, mal steppt er, mal verliert er sich in Opernarien, ganz hoch und ganz tief, in den Zwanzigern oder in den Fünfzigern, in Paris oder Amerika. Er sorgt sich um die DDRler: »Ogottogottogott, alle diese ungetauften Menschen. Die können nie in den Himmel kommen.« Und allen, die ihn gern haben, bebt noch einmal das Herz, und die, die ihn noch nicht kennen, werden ihn für seine Hingabe lieben.

In der Kassettenschachtel war ein Zettel; da stand nur drauf: »Ich bin von Kopf bis Fuß Der Wind hat mir ein Lied Ich brauche keine Millionen Für eine Nacht voller Seligkeit.«

Er wird mehr Lieder singen und aus einem Café in der Mulackstraße läßt er bestellen, »daß er fast daran zerbrochen wär', daß er seinen Weg nicht geschafft hat und daß er nun von neuem anfangen tut, sollst du sagen«. »Und, wie gesagt, beim Fernsehen und beim Rundfunk, beim Film und auch im Fernsehen bin ich der Star — Ich heiße die Nachtigall von Ramersdorf.« Detlef Kuhlbrodt

Friedrich Steinhauer, genannt die »Nachtigall von Ramersdorf«, interpretiert Chancons und Schlager von Marlene Dietrich bis Roy Black. Samstag, 21. 12. ab 21 Uhr im Checkpoint, Leipziger Straße 55, Berlin-Mitte, U-Bahnhof Spittelmarkt.

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