: Gegenmonument und Gegengipfel
■ Im andalusischen Puerto Real gedenkt man der lateinamerikanischen "Opfer der europäischen Invasion seit 1492"
Im andalusischen Puerto Real gedenkt man der lateinamerikanischen „Opfer der europäischen Invasion seit 1492“
VONPETERBRANDHORST
Im Rathaus des andalusischen Städtchens Puerto Real herrscht geschäftige Betriebsamkeit. „José! Wo steckt José denn bloß?“ ruft der Mann am Empfang zwischen zwei Telefonaten in den Flur hinaus. Bald darauf schiebt José seinen Wuschelkopf ein paar Zoll weit zur geöffneten Tür hinein: „Hier bin ich, was gibt es denn?“
José Antonio Barroso ist Alcalde, Bürgermeister, in der 40.000-Einwohner-Stadt Puerto Real, an der Bucht von Cádiz gelegen, im äußersten Südwesten Spaniens. Nicht allzu weit von hier entfernt, in Huelva, einem Hafenstädtchen ungefähr zwei Autostunden weiter nördlich, war Christopher Columbus im Jahre 1492 zu seiner Eroberungsreise nach Amerika aufgebrochen. Rechtzeitig zum „Quinto Centenario“, den offiziellen Feierlichkeiten 1992 zur „Entdeckung Amerikas vor 500 Jahren“, hat Alcalde José jetzt der spanischen Öffentlichkeit ein geplantes Gegenmonument in seinen Grundzügen vorgestellt: „Für die Opfer der europäischen Invasion seit 1492“.
Das Monument soll in den kommenden Monaten in Puerto Real auf einem hundert mal hundert Meter großen Stadtplatz in unmittelbarer Nähe zum Atlantik von dem ecuadorianischen Maler und Bildhauer Oswaldo Guayasamín erschaffen werden, um an die seit fünf Jahrhunderten andauernde Plünderung und Zerstörung indianischer Kulturen in Amerika zu gemahnen. Für den Oktober 1992 ist die feierliche Enthüllung vorgesehen.
Oswaldo Guayasamín wird das Monument aus großen Steinquadern errichten und sich bei deren Anordnung am Vorbild der Inka-Architektur orientieren, der sogenannten „Inkamauer“. Das Werk wird später eine Höhe von acht Metern aufweisen, drei davon unterhalb der Erdoberfläche. Jede Seite soll über einen Zugang zu einem Innenraum verfügen, in dessen Zentrum sich dann eine sechs Meter hohe handgetriebene Bronzestatue eines halb mensch-, halb condorartigen Wesens befinden wird. Das Monument legt Zeugnis ab für den Prozeß der Kolonialisierung, es soll erinnern an die Ausgebeuteten und Besiegten.
In Puerto Real entsteht, wie José Antonio Barroso nicht ohne ein wenig Stolz vermerkt, „das wichtigste Monument Spaniens unter freiem Himmel“, mit seinem Inhalt gar „einzigartig auf der ganzen Welt“. „Guernica“, Pablo Picassos ebenso einzigartiges Gemälde, Dokument der Zerstörung dieser baskischen Stadt durch faschistische Luftbomber aus Deutschland, befindet sich hinter Glas im „Museo del Prado“ in Madrid.
José Antonio Barroso ist seit mehr als zehn Jahren Bürgermeister in Puerto Real. Er gehört der „Unabhängigen Gruppe Demokratischer Linker“ an, mit der zusammen er bei der letzten Wahl die absolute Stimmenmehrheit erreichte. Man werde mit dem Monument „ein Symbol der Brüderlichkeit und Versöhnung zwischen den Völkern“ errichten und folgenden Generationen womöglich behilflich sein bei der Suche nach einer freieren Welt. In einem „Manifest: 500 Jahre Aggression — 500 Jahre Widerstand — Für die Emanzipation der Völker“, wird erläuternd festgehalten, daß 1492 zwei Welten aufeinandertrafen, die sich gegenseitig unbekannt waren: „Eine von ihnen maßte sich dabei an, die andere zu beherrschen, und setzte es mit Gewalt durch.“ Sätze wie dieser macht sie, die Linken aus Puerto Real, zu Reizfiguren für einen Teil der Öffentlichkeit.
„Schauen Sie“, sagt Senor Ponces Cardenes und blickt zunächst bedächtig auf die akkurat gefeilten Nägel seiner rechten Hand, „natürlich wurden damals Verbrechen und Gewalttätigkeiten begangen, aber längst nicht alles, was seither geschah, war falsch.“ Senor Ponces repräsentiert in Cádiz die örtlichen Interessen am „Quinto Centenario“. Unter anderem eine große Windjammerparade ist geplant, die „Colon 92“. Die Organisation dazu klemmt noch ein wenig, vielleicht kommt aber ein Termin im Mai in Frage. Die zentrale Fünfhundertjahrfeier ist ohnehin erst für den 12.Oktober im 150 Kilometer entfernten Sevilla geplant.
Dort hat dann auch die Weltausstellung Expo 92 ein halbes Jahr lang ihre Pforten geöffnet, und beide Ereignisse, meint Senor Ponces, müsse man im Zusammenhang sehen. Ganz Andalusien werde davon profitieren, und — überhaupt — das heutige Spanien gäbe es ganz einfach nicht ohne die damalige Tat von Christopher Columbus.
„Bueno“, beginnt Antonio Maira und zupft sich ein wenig seinen Haarzopf zurecht, „wir wollen das herrschende Schweigen brechen über die 80 Prozent der Menschheit, die hoffnungslos und aussortiert in den Ländern der sogenanten ,Dritten Welt‘ leben.“ Antonio Maira zählt zu den Organisatoren der landesweiten Kampagne „500 Jahre Aggression — 500 Jahre Widerstand — Für die Emanzipation der Völker“, die aus dem Rathaus von Puerto Real heraus angeschoben wird. Von zahlreichen spanischen Solidaritätsgruppen ist diese Kampagne im vergangenen April gemeinsam ins Leben gerufen worden. Sie setzt sich ein für die Gestaltung einer neuen Weltwirtschaftsordnung, um bestehende ungleiche Beziehungen zwischen den Völkern zu beseitigen.
Zwei Großprojekte werden im Mittelpunkt der Kampagne stehen. Im Juli 1992, parallel zu dem dann von der spanischen Regierung nach Madrid einberufenen Gipfeltreffen lateinamerikanischer Regierungschefs, soll es eine Art „Gegengipfel“ geben. Man will Anklage erheben gegen die Abhängigkeiten Lateinamerikas und Forderungen stellen nach Erlaß der Auslands
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schulden und IWF werden als Hauptgründe gesehen für den fortschreitenden Ausverkauf der Bodenschätze zu Billigstpreisen und die sich stetig vergrößernde Armut der Urbevölkerung.
Vom 9. bis zum 12. Oktober schließlich, wenn auch in Sevilla das offizielle „Quinto Centenario“ begangen wird, findet in Puerto Real ein „Foro Popular“ statt. Das Forum will im Rahmen verschiedener Veranstaltungen und mit TeilnehmerInnen aus mehreren europäischen sowie lateinamerikanischen Ländern über die herrschende Realität informieren. Geplanter Höhepunkt soll die Enthüllung des Monuments „Für die Opfer der europäischen Invasion seit 1492“ sein.
„Wir werden unseren Kampf führen“, sagt Antonio Maira aus Puerto Real. Und Senor Ponces Cardenes, der Repräsentant aus Cádiz, vernimmt solche Botschaften gar nicht gern. Sie stören. „Wir können alle profitieren“, wiederholt er und läßt dabei offen, ob sich das auch auf die Völker Lateinamerikas bezieht.
Die spanische Regierung wird in jeder Hinsicht profitieren, darüber hinaus so manches nationale und internationale Wirtschaftsunternehmen; die Hotelkonzerne sowieso. Selbst der Flughafen von Malaga erhofft sich kräftigen Aufwind, was gleichwohl die Frage unbeantwortet läßt, wie es dort in den Jahren danach weitergehen soll.
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