: Und ewig duftet der Striezel
■ Traditionelles Handwerk und alternative Läden behaupten sich auf dem vorweihnachtlichen Dresdner Einkaufsrummel
Oje, Tannenbaum. Wie treu sind deine Blätter. Dunkelgrün und pflegeleicht. Für einen blauen Schein das Puzzle zum Fest; da staunen die DresdnerInnen und könnens vor Schönheit kaum fassen. Doch dann kaufen sie lieber „een echten Boom“, wegen der Kinder. Handverlesene Fichten aus dänischem Wald, für 39DM das Stück. „Die nadeln genau so schnell wie unsere“ für knappe zehn Märker, sagt der Familienvater und wird sich mit dem Wächter der gefallenen Schonung bald handelseinig.
Zu Hause duftet schon der Striezel den Festtagen entgegen. Warum der Christstollen in Dresden „Striezel“ heißt, weiß so genau niemand. Aber auf ihren alten Striezel schwören die DresdnerInnen alle. Vor fünfhundert Jahren wurde das Gebäck erstmals erwähnt und auf dem Striezelmarkt gehandelt. „Immer wieder kopiert, doch nie erreicht“, so warben Dresdens Bäckersleute für ihr puderzuckerverschneites Mandel- oder Rosinengebäck, das nach streng gehütetem Rezept „in handwerklicher Backstube“ wie auch in der Großbäckerei gefertigt wird. Und bei schönem Wetter stehen vor den Marktbüdchen gar kleine Schlangen, die verschiedene Dialekte sprechen. So war es schon immer hier. Ihren Striezelmarkt haben sich die DresdnerInnen nie nehmen lassen, auch nicht, als „von oben“ die Engel und Weihnachtspyramiden in Jahresendflügelfiguren und Figurenkarussells umbenannt worden waren. Zu kaufen gab es die erzgebirgische Weihnachtskunst jedoch meist nur unterm Ladentisch. Jetzt sind sie auf den Markt zurückgekehrt, die vielen kleinen, sächsischen Handwerksbetriebe, die Schnitzer und Drechsler aus dem Arzgebirg und die Töpfer aus der Lausitz. Seiffener Reifenfiguren werden wieder geschenkt, Häuser und Tiere, Kurrendesänger und Bergmänner. Wer sich bei Gerhard Glaser aus Seiffen eine dreistöckige Pyramide mit der biblischen Weihnachtsgeschichte kauft, zahlt 215 DM. Kinder drücken sich an den Budenfenstern die Nasen platt, wie es auf alten Striezelmarktbildern zu sehen ist, und die Großen wägen Beschaulichkeit gegen Nutzen ab. „Sehr gut“ lief das Geschäft für die Seiffener, und zu den KäuferInnen hätten beileibe nicht nur nostalgische Westler gehört.
„Bei den Striezelkindern“ gibt es heute „original Restspielzeug aus der Ex-DDR“. Der Baukasten für nur vier Mark ist „leider schon wieder ausverkauft“. Aber „morgen bekomme ich neue“, tröstet die junge Händlerin die aufgeregten Kinder. Ein paar Buden weiter haben Schädlichs aus Hinterhermsdorf ihre Keramik aufgebaut. „Das ist holzgefeuertes Steinzeug. Jedes Stück sieht anders aus“, freut sich Gerald Schädlich mit den Leuten, und seine Frau wickelt wieder einen dunkelbraunen Krug ins Packpapier. Mit Spielzeug, Bildern und Keramik sind die Städtischen Behindertenwerkstätten auf den Striezelmarkt gekommen, und zum Plausch bieten sie auch einen Punsch an. Stöbern ist in dieser Bude erwünscht. Nicht so bei den Lausitzer Glaskünstlern. Sie haben filigrane Figuren fein aufgestellt und behaupten sich gegen die „antiken“ Pötte der Preßkristallhändler.
Auf den Anzeigenseiten der Lokalpresse geben Billigmärkte um die Wette ihre tollsten Supersparversprechen. Havekosts in Hosterwitz läßt das kalt. In ihrer kleinen Werkstatt geht nachmittags kein Apfel mehr zu Boden. „Die Leute kommen von sonstwo her und kaufen.“ Steffi Havekost, die Weberin, weiß nicht recht, ob sie sich noch freuen kann. „Ich habe einfach keine Zeit mehr, mich an den Webstuhl zu setzen.“ Hermann Havekost ist glücklich, daß schon wieder jemand fragt, wie denn diese afrikanischen Trommeln klingen. Er verteilt noch schnell einige Bambusflöten und Klanghölzer und indianische Rasseln, und schon klingt das ganze Haus herrlich weihnachtlich. Havekosts haben im Frühjahr ihre Weberei um einen Dritte- Welt-Laden erweitert. Neben einem selbstverwalteten Projekt der zweite derartige Laden in Dresden. Hosterwitz liegt am grünen Rand der Stadt, nahe beim Pillnitzer Schloß. Auch die 26jährige Antje deckt sich hier für eine schöne Bescherung ein, Jutepferdchen und ein Instrument für ihre Tochter, eine Schafwolldecke für die Eltern, mundgeblasene Gläser aus Mexiko für den Freund, Quinua fürs Festmahl. Weihnachtseinkauf in Dresden ist kein Problem. Nur den Geschmack mußte jedeR selbst mitbringen. Detlef Krell, Dresden
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