: Militärische Patt-Situation in Tiflis
■ Beide Seiten bauen ihre Stellungen aus/ Neue Milizen schließen sich Oppositionskräften an/ Bisher insgesamt 170 Tote und 450 Verletzte bei georgischem Bürgerkrieg
Tiflis (afp/dpa) — In der georgischen Hauptstadt Tiflis standen sich zu Jahresbeginn beide Seiten elf Tage nach Ausbruch der Kämpfe weiterhin unversöhnlich gegenüber, ohne daß sich ein militärischer Durchbruch abzeichnete. Der Führer der oppositionellen Truppen, Tengis Kitowani, schloß eine politische Lösung am Mittwoch indirekt aus. Er erklärte, die Erstürmung des Parlamentsgebäudes, wo sich Präsident Swiad Gamsachurdia seit dem 22. Dezember verschanzt hält, sei unausweichlich. An Silvester hatten die oppositionellen Milizen und die Präsidentengarde an strategischen Stellen der Stadt und rund um das Parlamentsgebäude Panzerfahrzeuge in Stellung gebracht.
Am Dienstag hatte die sowjetische Nachrichtenagentur 'Interfax‘ unter Berufung auf oppositionelle Kreise in Tiflis gemeldet, Gamsachurdia habe Kritiker in den eigenen Reihen erschießen lassen. Unter ihnen seien der stellvertretende Verteidigungsminister und ein Abgeordneter gewesen. Eine Bestätigung dafür gab es nicht. Der stellvertretende Verteidigungsminister war am Sonntag von Gamsachurdia-Anhängern verschleppt worden.
Erstmals schaltete sich am Dienstag auch die Miliz des Oppositionellen Schaba Iosseliani an der Seite der Truppen von Kitowani in das Kampfgeschehen ein. Die Mhedrioni-Miliz bezog um das Gebäude der Akademie der Wissenschaften Position und bereitete sich offenbar auf den Kampf vor. Auch Truppen von Washa Adamia, die sich einige Tage zuvor zurückgezogen hatten, waren am Dienstag wieder im Stadtzentrum aufmarschiert.
Iosseliani, der zusammen mit vier anderen Oppositionellen am Freitag aus einem KGB-Gefängnis befreit worden war, bestritt auf Anfrage, daß seine Truppen einen Angriff auf das Parlamentsgebäude vorbereiteten. Aus seiner Umgebung verlautete jedoch, die Mhedrioni-Miliz habe drei gepanzerte Fahrzeuge und eine Kanone in Bereitschaft gebracht und Iosseliani stehe in ständigem Kontakt zu Kitowani. Am Dienstag abend schloß Iosselani eine sofortige Erstürmung des Parlamentsgebäudes aus.
„Wir werden das Parlament nicht stürmen, weil es großes Blutvergießen bringen würde“, sagte er vor der Presse. „Es ist nur eine Frage der Zeit“, bis die Anhänger Gamsachurdias aufgeben, fügte er hinzu. „Wir sollten jetzt die Kontrolle der Stadt übernehmen.“
Bei bewaffneten Auseinandersetzungen am Montag kamen nach verschiedenen Angaben mindestens 22 Menschen ums Leben. Wie ein Arzt im Parlament mitteilte, wurden innerhalb einer Stunde 20 Anhänger Gamsachurdias erschossen. Von Seiten der Opposition hieß es, in ihren Reihen habe es zwei Tote und 20 Verletzte gegeben. Am Sonntag hatte ein Arzt des Roten Kreuzes die Zahl der seit Beginn der Kämpfe am 22. Dezember getöteten Personen mit 170 angegeben. 450 weitere seien verwundet worden.
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