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Gamsachurdias letztes Gefecht

■ Ultimativ fordert die Opposition den Rücktritt des georgischen Despoten und drohte mit Sturm des Palastes

Tiflis (dpa/afp) — Im Krieg um die Macht in Georgien hat es gestern mittag erneut zwei Tote gegeben. Nach Augenzeugenberichten hatten sich etwa tausend Menschen in der Nähe einer U-Bahn-Station am Stadtrand von Tiflis versammelt, als ein Wagen mit mehreren bewaffneten und maskierten Männern vorfuhr und das Feuer auf die Menge eröffnete. Ein junger Mann wurde von einer Kugel in den Kopf getroffen und getötet. Daraufhin hätten die Demonstranten die Angreifer gefaßt und einen von ihnen gelyncht, berichtete ein westlicher Fotograf.

Die Anhänger des Präsidenten waren einem Aufruf Gamsachurdias gefolgt, der in der Nacht zum Freitag über einen Rundfunksender die Bevölkerung aufgerufen hatte, einen Generalstreik zu beginnen und sich den oppositionellen Kräften zu widersetzen. In seiner Radiorede appellierte Gamsachurdia, der sich nach wie vor in einem Bunker im Regierungssitz verschanzt hält, an alle seine Anhänger zwischen 20 und 45 Jahren, sich zu den Waffen zu begeben.

Offiziell schwiegen den gestrigen Tag über die Waffen. Die Opposition wartete in ihren Stellungen vor dem Regierungssitz auf die Antwort des verhaßten Präsidenten, den sie zuvor ultimativ aufgefordert hatten, bis Freitag abend zurückzutreten. Sollte er dem Ultimatum nicht nachkommen, wollen die oppositionellen Truppen den Palast stürmen, in dem sich Gamsachurdia seit 12 Tagen verschanzt hält. Den gestrigen Tag über sah es so aus, als bliebe dem Präsidenten keine andere Wahl mehr als aufzugeben. Bis auf die Demonstration wurde der von Gamsachurdia befohlene Generalstreik nicht eingehalten. Die Truppen des Innenministeriums, die sich während der letzten 12 Tage neutral verhalten hatten, haben jetzt einem Sturm des Regierungspalastes zugestimmt.

Alle Zufahrtsstraßen und Eisenbahnverbindungen werden mittlerweile von den Oppositionellen kontrolliert. Der Flughafen liegt still. Der stellvertretende Verteidigungsminister der Gamsachurdia-Regierung, Nodar Georgadse, erklärte: „Wir kontrollieren die Stadt nicht mehr.“ Auch die Lage in dem ehemaligen autonomen Gebiet Südossetien, wo sich Osseten und Georgier bekämpfen, ist trotz des Abzugs georgischer Freischärler zur Unterstützung Gamsachurdias nach Tiflis äußerst ernst. Der Oberste Sowjet Südossetiens verhängte den Ausnahmezustand über alle Gebiete der Region und mobilisierte alle wehrfähigen Männer zwischen achtzehn und sechzig Jahren. Die Hauptstadt Zchinwali ist völlig von der Außenwelt abgeschnitten.

Am Donnerstag abend hatte sich in Tiflis ein Militärrat unter Führung des früheren Nationalgardechefs Tengis Kitowani und des ehemaligen Regierungschefs Tengis Sigua zu den neuen Machthabern in der Republik erklärt. Laut Tengis Sigua arbeitet der Militärrat schon am Konzept für eine Übergangsregierung. Der Militärrat hatte den georgischen Regierungschef Wissarion Guguschwili für abgesetzt erklärt und über Tiflis den Ausnahmezustand sowie eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

Über das georgische Fernsehen, das mittlerweile auch von der Opposition kontrolliert wird, hatte der Militärrat eine Erklärung verbreitet, in der es hieß: „Vom zweiten Januar an ist die ganze von Präsident Gamsachurdia usurpierte Macht beendet.“ Über die Hauptstadt Tiflis seien vom Freitag (3. Januar) an der Ausnahmezustand und eine Ausgangssperre von 23 bis 6 Uhr verhängt. Die selbsternannten neuen Machthaber werden den Angaben zufolge vom früheren georgischen Regierungschef Tengis Sigua und von Dschaba Ioseliani angeführt. Regierungschef einer gebildeten Übergangsregierung sei Sigua.

Nach den fast ununterbrochen andauernden Kämpfen hat sich nach einem Bericht des Korrespondenten des russischen Fernsehens die Tifliser Innenstadt in eine ausgebrannte Ruinenlandschaft verwandelt. Der Konflikt hat inzwischen 58 Menschenleben gefordert, 340 Menschen seien verletzt worden. Inoffizielle Schätzungen liegen höher. Die meisten Einwohner seien aus der Innenstadt in die Randbezirke geflüchtet.

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