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„Neuer Name — alte Wanzen“

Securitate-Strukturen sind so lebendig wie eh und je/ Abhörskandal in Bukarest/ Archive bleiben auf sechzig Jahre geschlossen/ Rehabilitierungskampagne auf Touren/ Die „großen Patrioten“ der Staatssicherheit  ■ Von William Totok

Kurz vor Weihnachten beschuldigte Dan Iosif, Senator der Regierungspartei, Front zur Nationalen Rettung, den Rumänischen Nachrichtendienst (SRI) in aller Öffentlichkeit, seine Telefongespräche abgehört und seine Briefe geöffnet zu haben. Bis dahin beklagten sich über derartige „Aktivitäten“ der im März 1990 gegründeten Securitate-Nachfolgeorganisation bloß Vertreter der Opposition. Seitens des Rumänischen Nachrichtendienstes, der laut Verfassung direkt Präsident Iliescu unterstellt ist, wurden solche Anschuldigungen als pure Ausgeburten einer krankhaften Phantasie zurückgewiesen. Der SRI-Chef, Virgil Magureanu, einst Professor an der KP- Kaderschmiede — der sogenannten Parteiakademie — und Mitverschwörer gegen Ceausescu, räumte allerdings ein, daß in Rumänien Abhörzentralen der Armee, des Innenministeriums und sogar des Demokratischen Verbandes der Ungarn (sic!) existieren würden. Der neue Nachrichtendienst jedoch, so SRI- Sprecher Nicolae Ulieru in einem BBC-Interview, verfüge zur Zeit über keinerlei Geräte, um eventuelle Abhörzentralen zu identifizieren. Der Nachrichtendienst habe bis jetzt nie Telefone abgehört und schon längst keine Briefe geöffnet. Täte er das, so Ulieru, dann würde er sich „professioneller Offiziere“ bedienen, die „keine Spuren hinterließen“. Die schlecht zugeklebten Briefe galten früher als klare Indizien, daß die Securitate ihre Hand im Spiel hatte. Daß die meisten ehemaligen Securitateoffiziere aus der Ceausescu-Zeit nun im Rahmen des „demokratischen“ Nachrichtendienstes tätig sind, ist kein Geheimnis. Aber niemand glaubt in Rumänien — das Beispiel des Frontsenators ist dafür bezeichnend —, daß diese Leute ihre alten Methoden im Laufe der zwei Jahre seit der „Wende vom Kommunismus zum liberalen Totalitarismus“ — wie Oppositionelle die gegenwärtige Situation ironisch zu bezeichnen pflegen — verlernt oder gar aufgegeben hätten.

Die alten Seilschaften funktionieren im posttotalitären Rumänien besser denn je. An einer Aufarbeitung der Vergangenheit ist kaum jemand interessiert. Die Forderung des Frontdissidenten und Parlamentsabgeordneten Claudiu Iordache, alle Parlamentarier auf ihre eventuellen Verstrickungen mit der Securitate zu überprüfen, blieb erfolglos. Sein diesbezüglicher Parlamentsantrag wurde ganz einfach überhört. Der Gesetzentwurf über die Funktionsweise des Nachrichtendienstes sieht zudem vor, daß die Archive für die nächsten sechzig Jahre verschlossen bleiben. Das heißt, auch die Identität der inoffiziellen Securitatemitarbeiter bleibt gewahrt, und der neue Geheimdienst kann zudem alte Zuträger reaktivieren.

In der links- und rechtsextremen Presse, die sich wie in keinem anderen ehemaligen Ostblockland kaum voneinander unterscheidet, läuft derweil eine frivole Rehabilitierungskampagne der alten Securitate und KP-Würdenträger, die allesamt als große rumänische Patrioten beschrieben werden, die einer internationalen Verschwörung zum Opfer gefallen sind. Selbst Ceausescu wird dazu gezählt. Tonangebend in dieser Kampagne ist die aus dem Securitatesprachrohr 'Saptamina‘ (Die Woche) hervorgegangene ultranationalistische Hetzgazette 'RomÛnia Mare‘ (Groß-Rumänien). Der jetzige SRI-Sprecher Ulieru gehörte früher zum Mitarbeiterstab der 'Saptamina‘.

Nicht zufällig erscheinen gerade in der 'RomÛnia Mare‘ regelmäßig diffamierende Auszüge aus „unzugänglichen“ Securitatedossiers von Oppositionellen. Die guten Kontakte der 'RomÛnia Mare‘-Herausgeber, Corneliu Vadim Tudor und Eugen Barbu, zum Nachrichtendienst sind allgemein bekannt. Als Drahtzieher der Angriffe auf die nach dem Vorbild der Komitees zur Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit gegründeten Organisation „Patriot“ vermutet man zurecht die reaktivierten altneuen Securitateoffiziere. Die Arbeit von „Patriot“ stockt, solange ihr der Zugang zu den Archiven verschlossen bleibt. Und daran wird sich wahrscheinlich während der Amtszeit Iliescus auch nichts ändern.

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