Verzweifelter Kampf der asturischen Kumpel

Zum dritten Mal innerhalb weniger Monate wurde in Spaniens Kohlenpott gestreikt/ 36 Kumpel verbringen zwei Wochen in 300 Meter Tiefe/ Angst der Region vor Verarmung/ Keine Alternativen der Regierung zu Massenentlassungen  ■ Aus Mieres Antje Bauer

Als sich das große Zahnrad über dem Schacht langsam in Bewegung setzte, legte sich erwartungsvolles Schweigen über die Tausende, die auf dem Hüttengelände warteten. Das Rad schien sich Ewigkeiten zu drehen, bis der Förderkorb aus dem Bauch des Schachtes auftauchte und 36 Gewerkschaftsführer zum ersten Mal seit zwölf Tagen die Sonne sahen. Zwei Tage vor Weihnachten hatten sich die Führungsmitglieder der beiden großen Gewerkschaften, der sozialistischen Minenorganisation SOMA-UGT und der kommunistischen Comisiones Obreras, in den Schacht Barredo der staatlichen Bergbaugesellschaft Hunosa in der asturischen Kleinstadt Mieres geschlichen. Hatten seither in 300 Meter Tiefe auf Holzpaletten geschlafen, da der Boden von Rinnsalen durchzogen war, und Weihnachten und Neujahr bei Temperaturen um Null Grad und einer Luftfeuchtigkeit von nahezu 100 Prozent gefeiert.

Es war ein dramatischer Protest gegen die Pläne der spanischen Regierung, die in den kommenden Jahren die Entlassung von etwa 6.000 Kumpeln der Hunosa vorsehen, ein Drittel der augenblicklichen Belegschaft. Die staatliche Hunosa, in den asturischen Nalon- und Caudaltalsenken gelegen, ist die größte Arbeitgeberin im spanischen Bergbau. Kohle und Stahlindustrie — auch diese in der Krise — sind die wirtschaftlichen Pfeiler des Fürstentums Asturien. Die Massenentlassungen bei der Hunosa werden, so die Befürchtung der Gewerkschaften in Asturien, Folgeentlassungen in anderen Unternehmen zeitigen und das ohnehin kriselnde Gebiet in tiefe wirtschaftliche Depression stürzen. Die Zentralregierung argumentiert hingegen mit den Verlusten in Milliardenhöhe, die die Kohleförderung in Asturien seit Jahren erzeugt.

Seit über dreißig Jahren ist der Abbau der asturischen Kohle unrentabel. Er wurde bereits unter Franco subventioniert, um die traditionell kämpferische Region bei Laune zu halten. Die Vorschriften der EG, die die dauerhaft hohe Subventionierung von Unternehmen nicht zulassen, dienen der spanischen Regierung nun als zusätzliches Argument für die geplanten Massenentlassungen.

Daß die Region Angst vor dem sogenannten „Zukunftsplan“ für Hunosa hat, zeigte bereits der Generalstreik im Oktober, der in ganz Asturien befolgt wurde. Am 26. und 27. Dezember traten erneut alle asturischen Bergleute in den Ausstand. Der Ministerrat in Madrid unterstützte am zweiten Tag des Streiks den „Rekonversionsplan“ der Regierung vorbehaltlos und kündigte an, daß dieser bald bei der EG in Brüssel vorgelegt werden würde. Seit sich die Gewerkschafter in Mieres im Schacht eingeschlossen hatten, war der Ort immer wieder Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Bergleuten gewesen, die versuchten, die Eisenbahntrasse und die Autobahn zu blockieren. Für Donnerstag und Freitag vergangener Woche war ein erneuter Generalstreik in den asturischen Bergbaugebieten ausgerufen worden.

Am Freitag morgen war Mieres wie ausgestorben. An den heruntergelassenen Eisengittern der Geschäfte hingen rote Flugblätter, die zum Generalstreik aufforderten. In eisiger Kälte fanden sich am Mittag Zehntausende zu einer Demonstration ein. Der Zug führte durch leere Straßen, an vom Kohlestaub schwarzen kleinen Häusern vorbei, an denen der ständige Regen Wasserspuren hinterlassen hatte, durch eine Landschaft verrammelter Läden und herabgelassener Jalousien hin zur Hütte der Hunosa, am Rand der Stadt gelegen, wo die eingeschlossenen Gewerkschafter ihre Rückkehr zum Tageslicht angekündigt hatten.

Heftiger Beifall und die Tränen ihrer Frauen und Töchter erwarteten die Kumpel, als sie bärtig, sichtlich erschöpft und mit Schweißerbrillen angetan, um die müden Augen vor dem ungewohnten Licht zu schützen, schließlich aus dem Förderkäfig stiegen. „Der Kohleabbau wird in Zukunft stark reduziert werden“, gesteht Emilio Huerta, Generalsekretär der Comisiones Obreras von Asturien, zu, der auf seine Gewerkschaftsgenossen wartet. „Man muß jedoch die Übergangszeiten für den Arbeitsplatzabbau länger ansetzen und vor allem muß man Firmen suchen, die hier investieren wollen, und ihnen finanzielle Anreize bieten. Man muß auch die Infrastruktur verbessern. Dazu braucht man viel Geld. Aber die Regierung gibt das Geld für Hochgeschwindigkeitszüge, für die Weltausstellung und für die Olympiade aus, und jetzt müssen wir mal dran kommen. Bislang wissen wir nur, daß der Bergbau, die Stahlindustrie und die Waffenfabriken verschwinden, die die Grundlage unserer Wirtschaft darstellen, daß aber keine Alternativen geschaffen werden.“

Kurz nach der Demonstration macht sich auch an diesem Tag die geballte Frustration Luft. Jugendliche, die Hauptbetroffenen der Arbeitslosigkeit, haben Baumstämme und Steinbrocken auf die Autobahn gelegt. Die Sondereinheiten der Polizei, seit Stunden auf der Lauer, sind angerückt, um die freie Fahrt der freien Bürger zu garantieren. Jugendliche werfen von einer an die Autobahn angrenzenden Siedlung aus Steine und Sprengkörper. Die Polizei antwortet mit Tränengasgranaten und Gummigeschossen. Innerhalb kurzer Zeit liegt eine graue Wolke über dem Viertel, das Gas beißt sich in die Augen. Zur Mittagszeit gehen die meisten Demonstranten essen, gegen Abend flammen die Auseinandersetzungen neu auf. An Häuserwänden lehnen die älteren Minenarbeiter und sehen zu. Die meisten sind massiv lungengeschädigt und dürfen sich dem Tränengas nicht direkt aussetzen. „Treffer“, schreit eine ältere Frau begeistert, als ein Jugendlicher mit verdecktem Gesicht einen Stein auf der Gegenseite gelandet hat. Erst nachts um elf ist die Schlacht beendet. Mehrere Verletzte wurden in der Sanitätsstation der Hütte, die sich in der Hand der Kumpel befindet, behandelt. Auf den Einfahrtsstraßen brennen noch ein paar Barrikaden aus Holzstämmen und Mülleimern. Ein zurückgelassener Rost zeigt, daß auf den Barrikaden auch das Abendbrot gegrillt wurde.

„Für zwei Tage ist nun Waffenstillstand“, verkündet der Gewerkschafter Txema am nächsten Morgen. Dienstag und Mittwoch werden sozialistische Abgeordnete aus Asturien mit der Zentralregierung in Madrid verhandeln. Wenn die keine Zugeständnisse macht, ist der nächste Zoff vorprogrammiert.