Das Fernsehen ist und bleibt Spitze

Glotzenlieblinge des Altjahres und die ersten Favoriten des jungen 1992  ■ Von Klaus Nothnagel

Vielleicht doch das schönste war die Philosophen-Show am vergangenen Donnerstag, ARD, nach 23 Uhr — versteht sich. Zwei Moderatoren, Wilhelm („Biber“) von Sternburg und Ernst („Cabrio“) Ehlitz, saßen mit vier hochberühmten Philosophieprofessoren zusammen und stellen verzweifelt das, was die wenig Verstehenden gern Verständnisfragen nennen: „Aber was ist denn nun der Sinn, Herr Sloitderdijk? Das wüßte ich doch gern!“ Die Philosophen, zu denen immerhin Hermann Lübbe und Adam Schaff gehörten, popularisierten, was das Zeug hielt, und Sloiterdijk einigte sich mit sich selbst auf die (hier nur sinngemäß wiedergegebene) Formel, die wichtigste, wenn nicht gar einzige Aufgabe heutiger Philosophie sei es doch, sich überhaupt und allgemein schlau zu machen über Kern und Wesen des Schlauseins selbst. Das war schon sehr würdig und ulkig — klügere als diese beiden Moderatoren hatte die ARD wohl gerade nicht zur Hand.

Die andere große Entdeckung, die mir in den letzten Monaten, seit ich endlich die Privaten empfangen kann, zuteil wurde: Die Busenopern, Arschapologien, Mopsmonodramen zu später Stunde. Schulmädchenreport oder Es jodelt in der Lederhose, gern auch für den etwas subtileren Geschmack der Frauenarzt-Report: Zeigen diese Gemmen der deutschen Lichtspielkunst, diese wertvollen zeitgeschichtlichen Zeugnisse nicht letztlich mit der gebotenen Schnödizität, wie hohl, wie eitel, wie geistlos das geschlechtliche Treiben als solches und ganzes ist? Ich weiß, viele Leser, die gegen diese Filme eingestellt sind, werden mir widersprechen, werden gar kaltblütig behaupten, das Leben selbst vollziehe sich intelligenter als diese Werke, und doch: Was jedeR von uns bei Vorbereitung, Vollzug und Nachbearbeitung der groben physischen Verrichtungen schon an verantwortungslosem Quark geredet hat, ist kaum zu glauben, wohl aber angemessen realistisch, wenn nicht naturalistisch zu verfilmen!

Drittens natürlich: König Schwarte und der fatale Niedergang des Fettmonarchen. Ist es nicht gerade die unerträgliche Cholesterinhaltigkeit des Seins, was uns jemanden wie Wim Thoelke so nahebrachte, so unentbehrlich für die eigene Psychoökologie machte? Waren nicht neben seiner alles überbordenden und dann so jäh weggekrankten Speckigkeit all seine anderen Talente eher fakultativ? Das Untalent, die Kamerauntauglichkeit, die umfassende Witz- und Vernunftlosigkeit, das abstoßende Anbiedern beim gänzlich von allem und allen verlassenen Publikum? Thoelke war groß. Groß und dick. Jetzt ist er dünn. Tragisch das!

Sehr geliebt wurde von mir auch Eva Herrmann, die Discount-Sirene der Tagesschau — nicht etwa wegen ihres Nachrichtenvortrags; an den kann ich mich ebensowenig erinnern wie irgend jemand sonst. Entzückt hat mich vielmehr ihre hemmungslos unzeitgemäße existentielle Blondheit, kombiniert mit ihrer Trennung vom NDR-Talkshow-Schwachgeist Brehmke und ihrem rasanten Überlaufen zu einem ebenso schmalspurigen, dafür aber schneidigeren und auch juvenileren Dünbrettbohrer, dessen Vorname Uwe ist. Daß Frau Herrmann nebenher Volksmusikorgien moderiert und in einer Funkzeitschrift (ich lese sie alle!) auch noch ruchlos zu Protokoll gab, sie schäme sich dessen kein bißchen, macht das Bild noch runder und niederschmetternder.

Fünftens Erika Berger. Und zwar nur aus einem Grunde. Eine mir persönlich bekannte Autorin konterkarierte vor etwa einem Jahr den dümmsten Satz, den je ein hochkluger Mann gesagt hat, „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, ungerührt mit den Worten: „Wer zu früh kommt, muß zu Erika Berger“! Und das, denke ich, kann kaum schöner und wahrer formuliert werden.

Was aber ist mit denen, die zu selten kommen? Der grandiose Multimedia-Berserker (singen, tanzen, dumm sein) Peter Alexander beispielsweise, der seinerzeit — in der großen Berlin-ist-toll-Show — fast einen eigenen Historikerstreit vom Zaun gebrochen hätte, als er feinsinnig moderierte: „1943 war's dann schlagartig vorbei mit der guten Laune in Deutschland.“ Peter der Große sollte viel öfter eine ganze Show haben. Wer ihn anderthalb Stunden gesehen hat, wird anschließend im Glanz seiner neu erworbenen Abhärtung sogar Tofu essen, ohne zu göbeln.

Siebentens Thomas Gottschalk. Mit so wenig Verstand so viel Lärm schlagen — das kann auch nicht jeder. Daß jetzt der Ehemostler Wolfgang Lippert die Show übernimmt, wird einmal mehr eindrucksvoll beweisen, daß jede, wirklich jede Armseligkeit bei ausreichender geistiger Brachialität noch nach unten hin steigerbar ist.

Achtens und letztens die jungen, enkelhaften SPD-Politiker. Björn Engholm wünschte Frank Elstner anläßlich dessen endgültigen Absturzes, „daß der Frank Elstner so menschlich bleibt, wie er ist“! Ich bin der Björn, du! Oder Klose! Wie der schamlos Intelligenz, Bedächtigkeit, hanseatisches Down-to-earth- Image, mitunter gar Selbstkritik vortäuscht — das ist schon eine Großleistung der Identitätssklerose. Der unvergessene Hans Rosenthal wäre stolz auf dieses Showtalent gewesen. Das Fernsehen, um es abschließend noch einmal ganz glahr zu sahken, war, ist und bleibt Spitze!