: In Tiflis fielen gestern wieder Schüsse
■ Demonstranten für Gamsachurdia angegriffen/ Mehrere Verletzte/ Aufenthaltsort und Zukunft des gestürzten georgischen Präsidenten unklar/ Ex-Außenminister Schewardnadse erwägt Kandidatur
Tiflis (afp/dpa/ap) — Auch nach der Nacht-und-Nebel-Flucht des gestürzten georgischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia gingen gestern die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe weiter. Bewaffnete Anhänger des regierenden Militärrates schossen am Dienstag in Tiflis auf mehrere tausend Menschen, die für Gamsachurdia demonstrierten. Nach ersten Berichten wurden mehrere Personen verletzt; die Demonstranten flüchteten in Panik. Der Militärrat hatte zuvor alle Kundgebungen verboten.
Die Demonstration begann am Bahnhof der Hauptstadt, die Menge schwoll nach und nach auf rund 4.000 Menschen an. Sie riefen den Namen des am Vortag nach Armenien geflüchteten Präsidenten, teilweise spendeten ihnen Anwohner aus Fenstern und von Balkonen Beifall. Vor einem Hotel verlegte eine Kette von bewaffneten und teilweise maskierten Männern dem Demonstrationszug den Weg. Die Bewaffneten schossen in die Luft, einige zielten auch in die Menge, die auseinanderstob.
Wie gestern bekannt wurde, kamen bei der Flucht Gamsachurdias am Montag mindestens zehn Menschen ums Leben. Zwanzig weitere wurden verletzt. Dies teilte der Generalstab des Militärs in Tiflis mit. Zu Kämpfen zwischen Anhängern und Gegnern des gestürzten Präsidenten, war es gekommen, kurz nachdem Gamsachurdia sich aus seiner Festung davonmachte, mit ihm ein Konvoi von 12 Fahrzeugen und 700 Millionen Rubel aus der Staatskasse.
Immer wieder wurden seine Anhänger, die seinem Wagen folgten, an Straßensperren in den Dörfern Natachari und Achiani aufgehalten. Dabei sei es schließlich zu den tödlichen Zusammenstößen gekommen, hieß es. Das Rote Kreuz teilte ferner mit, bei den Kämpfen um das Regierungsgebäude seien in der Nacht zum Montag noch zehn Menschen getötet worden.
Unklar ist nach wie vor, wo genau sich Swiad Gamsachurdia inzwischen aufhält. Zwei Versionen über den Verbleib des gestürzten Politikers stünden derzeit zur Auswahl, erklärte gestern der Pressesprecher des Generalstabs, Surab Pottschaveria: Entweder sei er in Armenien, um sich dort unter den Schutz von Präsident Ler-Petrosjan zu stellen — diesen kennt er immerhin noch aus seiner Zeit als Regimekritiker. Oder er sei bereits unbemerkt von Aserbaidschan aus in ein drittes Land geflüchtet.
Eine Bestätigung gibt es für keine der beiden Versionen. Die armenische Vertretung in Moskau hatte noch am Montag abend versichert, Gamsachurdia sei im armenischen Idschewan eingetroffen, ein Kurort unweit der aserbaidschanischen-armenischen Grenze. Doch an einen Kuraufenthalt für den Gestürzten in Armenien wird wohl nicht gedacht. Die armenische Regierung habe keinesfalls die Absicht, Gamsachurdia politisches Asyl zu gewähren, hieß es in Moskau.
Laut 'Tass‘ wartet die armenische Regierung auf die Bitte der neuen georgischen Machthaber, dem gestürzten Politiker und seiner Familie zeitweise den Aufenthalt in Armenien zu gestatten. Unklar ist auch, was aus den militärischen Einheiten werden soll, die Gamsachurdia bei der Flucht begleiteten. Die etwa 60 bis 100 Anhänger sind wahrscheinlich noch immer in Aserbaidschan, da ihnen Armenien die Erlaubnis zur Einreise verweigerte.
Große Sorgen um das weitere Schicksal seiner Heimat macht sich inzwischen der ehemalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse: „Es gab Naturkatastrophen und militärische Auseinandersetzungen. Das Land ist bedroht von Hunger und Massenarbeitslosigkeit. Ein kleines Land mit alter Zivilisation, das jetzt Unterstützung verdient. Ich wende mich deshalb an alle meine Freunde, Georgien jetzt zu unterstützen, nicht nur moralisch, sondern auch finanziell und wirtschaftlich“, erklärte Schewardnadse am Abend in einem ZDF-Interview.
Außerdem will sich der ehemalige Außenminister aktiv an der Schaffung eines demokratischen Georgiens beteiligen und schließt eine Präsidentenkandidatur nicht aus. Nach dem Abgang von Präsident Swiad Gamsachurdia, so Schewardnadse, könne er „eine Hoffnung für Georgien“ sein.
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