: Möllemann will noch mehr Arbeitslose
■ Neues Maßnahmenpaket für den „Aufschwung-Ost“: Halbierung der Laufzeit von ABM-Verträgen, Aufstockung der Wirtschaftsförderung um zwei Milliarden und Verkürzung der Eigentumsverfahren
Bonn (dpa/ap) — Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) möchte die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) in Ostdeutschland auf sechs Monate halbieren und die Investitionsmittel des Bundes für die regionale Wirtschaftsförderung in den neuen Ländern noch in diesem Jahr kurzfristig um zwei Milliarden Mark erhöhen. Das erklärte der Minister am Dienstag vor der Presse in Bonn. Das Konzept, das auch eine Änderung des Vermögensgesetzes vorsieht, soll nach Angaben des Ministers in die weiteren Kabinettsberatungen und in den kommenden Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung eingehen. Weitere Maßnahmen beziehen sich auf Hermes-Kreditgarantien für ostdeutsche Exporte, die Treuhandpolitik und den Erhalt der Industriestandorte.
Um Investitionen in Ostdeutschland zu beschleunigen und die Rechtsunsicherheit in der Eigentumsfrage schneller zu überwinden, soll nach den Vorstellungen des Wirtschaftsministers das Anhörungsrecht des Alteigentümers auf zwei Wochen befristet werden, das Eigentumsverfahren vor einem oder nur wenigen Verwaltungsgerichten konzentriert werden. Hätten die Gemeinden oder die Treuhandanstalt die Eigentumsfrage eindeutig zugunsten des Investors entschieden, dürfe das Verfahren nicht mehr durch frühere Eigentümer in Frage gestellt werden; ihnen soll nur noch ein Geldanspruch zustehen.
Um neu entstehenden Betrieben in Ostdeutschland nicht die Arbeitskräfte zu entziehen, fordert Möllemann wesentliche Einschränkungen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Die Tarifvertragsparteien sollten deshalb spezielle ABM-Tarifverträge mit niedrigerem Entgelt vereinbaren. Damit diese Programme „nicht aus dem Ruder laufen“, sollten sie auf sechs Monate beschränkt, aber mit zusätzlichen Qualifizierungsmaßnahmen verbunden werden. Im Gegensatz zu den Beschlüssen der Bundesregierung und zur Haltung des Finanzministeriums möchte Möllemann das auf zwei Jahre beschränkte Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost mit jeweils zwölf Milliarden Mark Bundesmitteln in den Jahren 1991 und 1992 auch 1993 weiterführen.
Widerstand bekam Möllemann sogleich vom Finanzministerium. Dessen Staatssekretär Manfred Carstens (CDU) wies die Forderung Möllemanns zurück, im Rahmen der Haushaltsberatungen für 1993 das auf zwei Jahre festgelegte Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost mit jeweils zwölf Milliarden DM Bundesmitteln über 1992 hinaus fortzusetzen. Während Möllemann dabei auf ein „ungünstiger“ gewordenes konjunkturelles Umfeld für Deutschland in diesem Jahr und erhebliche Kraftanstrengungen für die neuen Länder hinwies, erklärte Carstens, die Wirtschaftsinstitute hätten für die neuen Länder in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von real plus zehn Prozent vorausgesagt. „Damit ist der Zweck des als Initialzündung angelegten Gemeinschaftswerks erfüllt“, sagte Carstens.
Erneut kritisierte Möllemann am Dienstag die zweistelligen Tarifforderungen des Öffentlichen Dienstes. Der Minister forderte die Politiker bei den Ausgaben und die Tarifpartner bei ihren Lohnforderungen noch einmal zur Zurückhaltung auf. Die Wirtschaftspolitik benötige für den Aufschwung der neuen Länder „absolute Vorfahrt“. Bei aufgelaufenen Schulden von 1,36 Billionen Mark könne der Staat keine 35 Milliarden Mark zusätzlich für die Bezahlung der Staatsdiener aufbringen.
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