piwik no script img

Sanfter Abgang

■ Ein Nachruf auf die Tourismuskritik

Ein Nachruf auf die Tourismuskritik

VONEDITHKRESTA

Öko-Sponsoring ist brandaktuell in der Reisebranche. Zeitgemäß, innovativ, trendy und höchst werbewirksam. Der Umweltschutz hat die Chefetagen der Konzerne erobert. „Man sägt doch nicht am eigenen Ast“ ist längst geflügeltes Wort. Umweltbewußtsein ist in der Tourismusbranche inzwischen selbstverständlich. Eine Selbstverständlichkeit, die sich allerdings erst mit einer veränderten Nachfrage auf dem Markt, einem umweltsensiblen Verbraucherbewußtsein herausschälte. Denn Massenquartiere und zubetonierte Landschaften haben als Objekt touristischer Begierde längst ausgedient; sie finden allenfalls noch Verwendung als Billigarrangements. Inzwischen baut die Branche mehr oder weniger angepaßt, ist mit biologisch abbaubaren Putzmitteln, Katalogen aus Umweltpapier und Energiesparmaßnahmen gerüstet. Auf den Trümmern der touristischen Capri- Ära— jeder kann, darf und soll unter Zitronenbäumen wandeln — entwickelte sich der Trend zu Individualisierung und verlorener Unschuld, sprich Unberührtheit.

Um verlorene Unschuld, Unberührtheit geht es auch der sanften Kritik am Tourismus. Sie hat sicherlich einen Beitrag zu dieser veränderten Nachfragestruktur geleistet: Sensibilisierung auf der Verbraucherseite, Innovationsschub auf seiten der Veranstalter. Doch jetzt, wo bundesdeutsche Reisegiganten sich sanftes Reisen an die Brust heften, werden die sanfttouristischen Mahnungen zu Leerläufen. Die sanfte Kritik ist nicht mehr draußen vor, wie die Heilsarmee am verkaufsoffenen Winterschlußsamstag vor Wertheim, sondern mittenmang, als Bereicherung der Angebotspalette zur Erfüllung der Reisewünsche. Sie wurde erhört. Nun kann sie unumwunden und mit reinem Herzen von modernen Freizeitforschern ob ihrer Kurzsichtigkeit gegenüber den wahren massenhaft auftretenden Problemen im Tourismus als engstirnige „Gemeinschaft zur Bewältigung der Angst“ denunziert werden (Romeiß- Stracke, siehe taz vom 14.12.91). Ein Angriff, der sich mit dem Vorwurf von linker Seite trifft, biederes, harmoniesüchtiges Überbleibsel einer Tourismuskritik zu sein, in deren Mittelpunkt eigentlich der Mensch und nicht das Biotop stand. Doch während sich die Freizeitforscher um die Expansionsbedürfnisse der Branche sorgen und ihnen die Schrebergarten-Mentalität der Sanften von daher ein Dorn im Auge ist, bemängeln linke Kritiker die Schlichtheit der Schrebergarten-Diskussion. Den sanfttouristischen Streitern geht es nur ums Machbare und die Natur. Eine beschauliche Sichtweise, die die realen Interessenkonflikte zwischen Verbrauchern und Zielgebieten auf der einen und einem gigantischen, natürlich profitorientierten Wirtschaftsapparat auf der anderen Seite verharmlost. Mit Forderungen nach politischen Auflagen zur touristischen Erschließung, mit unbequemen Fragen zu partizipativer Planung, kultureller Identität und schonungsloser Vermarktung von Land, Leuten und Touristen haben sie sich kaum befleckt.

Die sanften Kritiker nützen so letztlich vor allem den Veranstaltern, die durch Kooperation ökologischen Ablaß einklagen und Goodwill demonstrieren. Geschadet haben sie der Tourismuskritik, der sie sich lautstark verpflichtet fühlen. Von den Tourismusmachern kurzerhand vereinnahmt, wird nun das Machbare im harmonischen Miteinander angestrebt. Wo die Macher das Machbare diktieren, bleibt die Kritik auf der Strecke. Widersprüche zwischen Profit und Reiselust, touristischem Ausverkauf und Kultur, Ökonomie und Ökologie lösen sich nicht so leicht auf. Die vereinnahmte Kritik, die keine mehr ist, plätschert gemütlich im großen Strom mit. Die Widersprüche bleiben.

Eine gute Diskussionsgrundlage zum Thema bietet die Neuauflage der Reisebriefe Sanfter Tourismus — ein Schlagwort mehr?, herausgegeben von der Gruppe Neues Reisen. Neben Zielvorstellungen, kritischen Auseinandersetzungen und Dokumentation bietet das Heft auch umfassende bibliographische Hinweise. Dieser durchaus kritische Band wurde von der Charterfluggesellschaft LTU gesponsert. Zu beziehen bei: Gruppe Neues Reisen e.V., c/o Marion Nowakowski, Hauptstr. 295, 5330 Königswinter 1.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen