Darlehen der Arbeiter soll MZ retten

Ein halbes Jahr wollen die Zschopauer Motorradwerker einen Teil ihres Lohnes als Darlehen geben  ■ Aus Zschopau Bernd Siegler

„Wir haben damit unser Letztes gegeben, jetzt sind andere am Zug.“ André Hunger, Betriebsratsvorsitzender der Motorradwerke Zschopau GmbH, wartet jetzt mit Spannung auf die Entscheidung der Treuhandanstalt, die am 16. Januar über die Aussetzung der kurz vor Weihnachten verkündeten Liquidation der traditionsreichen MZ-Werke befinden will. In einem bundesweit einzigartigen Modell hat die MZ-Betriebsversammlung am Donnerstag einstimmig beschlossen, ein Zehntel der gesamten Nettolohnsumme sechs Monate lang dem Unternehmen als zinsloses Darlehen zu gewähren. Mit dieser halben Million Mark will die Belegschaft, so der 30jährige Hunger, ein „Zeichen“ setzen, daß sie „voll hinter dem Unternehmen“ steht, um das Überleben von MZ zu sichern.

Mit der Eintragung der Armaturenfabrik Rasmussen und Ernst ins Handelsregister war 1907 der Grundstein für die Massenproduktion von Zweitaktmotoren in Zschopau im Erzgebirge gelegt worden. Aus den Versuchen mit Dampfkraftwagen leitete sich die spätere Firmenbezeichnung DKW ab. Mit einer Jahresproduktion von 60.000 Fahrzeugen galt die Fabrik in den zwanziger Jahren als größte Motorradfabrik der Welt. 1932 ging das DKW-Werk Zschopau in der Auto Union AG auf. Nachdem man sich im Streit um die DKW-Markenrechte gegen die Volkswagen AG nicht durchsetzen konnte, hieß der nach 1945 volkseigene Betrieb fortan MZ-Motorenfabrik Zschopau.

Das in eine enge Schlucht des Tischautals im Südwesten von Zschopau eingepferchte Werk produzierte fortan 85.000 Motorräder zwischen 125 und 300 Kubikzentimeter. Die zwar nicht als schön, aber als robust und äußerst zuverlässig geltenden MZ-Maschinen gingen hauptsächlich nach Osteuropa und in die Dritte Welt. Wie für fast alle Betriebe der ehemaligen DDR brach mit der Einführung der DM nahezu der gesamte Markt zusammen. Von den ehemals 2.200 Beschäftigten im Stammwerk waren nach der Privatisierung von Betriebsteilen Ende Juni 1991 noch 1.400 übrig. Weitere Kündigungen wegen der miserablen Auftragslage reduzierten die Belegschaft auf 750. Ginge es nach der Treuhand, würden in diesem Jahr nurmehr 200 übrigbleiben, um die Liquidation abzuwickeln.

„Dann geht in Zschopau das Licht aus“, befürchtet Dieter Schönfeld, stellvertretender Bürgermeister der 13.000 Einwohnerstadt nahe der tschechischen Grenze. Er sieht schwarz für die im Juni geplante rauschende 700-Jahre-Feier der Stadt. „Zu MZ gibt es hier keine Alternative.“ Die Lage im Landkreis Zschopau könnte sich weiter verschlechtern, denn der Kühlgerätehersteller DKK im nahen Scharfenstein mit 3.500 Arbeitsplätzen ist in höchster Gefahr, und das Aus für die Baumwollspinnereien in Zschopau mit 600 Beschäftigten kam bereits kurz nach der Wende. Das Ende von MZ würde die Arbeitslosenquote von derzeit 9,2 Prozent auf 25 Prozent hochschnellen lassen.

CDU-Landrat Trommer hat den Ernst der Lage erkannt und in Gesprächen mit dem Betriebsrat und der Industriegewerkschaft Metall die Bereitschaft signalisiert, bei Härtefällen von MZ-Beschäftigten fünf Prozent ihres zinslosen Darlehens zu übernehmen. Die Hoffnungen der MZ-Belegschaft richten sich jetzt auf Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der selbst im Verwaltungsrat der Treuhand sitzt. Nach dem Liquidationsbeschluß der Treuhand, von dem Betriebsrat und MZ- Aufsichtsrat aus dem Radio erfahren hatten, stattete der Ministerpräsident dem Werk einen Besuch ab. Biedenkopf versprach, bei entsprechenden Anstrengungen der Belegschaft dafür zu sorgen, daß die Liquidation sechs Monate lang ausgesetzt wird. Dem Betrieb solle eine Chance gegeben werden, die in der Zwischenzeit entwickelten Konzepte umzusetzen. Biedenkopf stellte in Aussicht, daß der Freistaat einen Teil der für die Fortführung der Produktion auf zehn Millionen D-Mark geschätzten Kosten übernehmen werde.

Zur Sicherstellung der Liquidität hatte die Treuhand 1991 schon über 70 Millionen D-Mark verbürgt. Damit wurde, so der Betriebsratsvorsitzende Hunger, ein Netz von 1.700 neuen Händlern aufgebaut, neue Märkte erschlossen und neue Modelle, die den ästhetischen und auch ökologischen Erwartungen der Konsumenten entsprechen sollen, entwickelt. „Klassische, unverwüstliche Motorräder mit einer intelligenten Technik und einer soliden Präzisionsmechanik zu einem akzeptablen Preis“, lautet die Devise von MZ- Marketing-Chef Christian Steiner. Das Prunkstück „Made in Germany“ soll ein 500-Kubikzentimer-Viertakter, die „heiße Lady aus Sachsen“, sein. Steiner hofft auf die „Nischen des Marktes“ und „neue Akzente“ wie den von MZ entwickelten Abgaskatalysator für Zweitakter.

Ingolf Ohlsen, erster Bevollmächtigte der IG Metall in Zschopau und stellvertretender MZ-Aufsichtsratsvorsitzender, kann aufgrund dieser Anstrengungen die Argumentation der Treuhand, man hätte 1991 jeden Arbeitsplatz mit 45.000 DM gestützt, nicht nachvollziehen. MZ habe für die Zukunft geplant, deshalb gelte es jetzt, dem Werk eine Chance zu geben. „Biedenkopf steht bei uns im Wort“, geben sich Ohlsen und Hunger optimistisch. Sie glauben, daß MZ mit den neuen Modellen und den Zulieferverträgen mit Audi und den Münchner Knorr-Bremsen bereits Anfang 1993 bei einer Jahresproduktion von 25.000 Fahrzeugen wieder schwarze Zahlen schreiben kann. In diesem Fall soll das zinslose Darlehen der Belegschaft entweder zurückgezahlt oder in Firmenanteile umgewandelt werden. Sollte das Konzept nicht aufgehen, sollen die Beschäftigten ihr Geld wieder zurückerhalten. „Die Sicherheit dieses Geldes hat allererste Priorität bei den Verhandlungen ab Montag“, betont Ohlsen, der genau weiß, daß er für dieses Modell Prügel seiner Gewerkschaftskollegen aus dem Westen einstecken muß. So hat sich die IG Metall immer strikt gegen einen Investivlohn ausgesprochen, da das unternehmerische Risiko nicht den Arbeitnehmern aufgehalst werden dürfe. Ohlsen sieht das Zschopauer-Darlehensmodell nicht als Vorreiter für andere Firmen. „Das ist MZ-spezifisch und die letzte Chance für etwa 600 Arbeitsplätze.“