: Ostanwälte sollen geröntgt werden
Gesetzentwurf aus dem Justizministerium will Rechtsanwälte und Notare aus der Ex-DDR auf ihre Vergangenheit hin überprüfen/ Kurz vor der deutschen Einheit war ihre Zahl enorm angestiegen ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) — Wer „Täter oder Steigbügelhalter im SED-Unrechtsregime“ gewesen ist, soll nicht mehr Notar oder Rechtsanwalt sein können, faßte Justizminister Kinkel den Gesetzentwurf zusammen, den das Kabinett am Mittwoch beschlossen hat. Demnach sollen die Landesjustizverwaltungen, insbesondere mit Hilfe von Stasi-Akten, die Vergangenheit der Anwälte aus der Ex-DDR untersuchen können.
„Immerhin ist keine Generalüberprüfung mehr vorgesehen, wie sie ursprünglich geplant war“, kommentiert Felix Busse vom Deutschen Anwaltsverein den Entwurf. „Ich begrüße zwar grundsätzlich das gesetzgeberische Ziel, die Zulassung solcher Anwälte in Frage zu stellen, die schwere Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit begangen haben.“ Aber dafür würden auch schon die bisherigen Gesetze ausreichen. „Ich halte die Nachteile eines solchen Gesetzes für größer als seine Vorteile.“ Die Arbeit der Kollegen aus dem Osten wird behindert und erhebliche Unruhe ausgelöst, meint der Chef des Anwaltsvereins.
Hintergrund der Kinkel-Initiative: Im Einigungsvertrag wurde festgeschrieben, daß jeder in der DDR zugelassene Anwalt auch im vereinten Deutschland weiter eine Kanzlei betreiben kann — ein Passus, der wohl nicht zuletzt durch den Einsatz von Ex-Ministerpräsident und Rechtsanwalt de Maizière aufgenommen wurde. In den letzten Wochen vor dem Ende der DDR hatten viele Richter und Staatsanwälte noch schnell den Beruf gewechselt, weil sie sich ausrechnen konnten, daß sie im neuen Justizapparat nicht unterkommen würden. Zwar waren noch 1990 in der DDR zwei Verordnungen in Kraft getreten, die „unwürdigen“ oder aufgrund ihrer „bisherigen Lebensführung ungeeigneten“ Personen die Anwaltszulassung versperren sollten. „Es besteht jedoch Anlaß zu der Annahme, daß... [das] nicht immer sorgfältig geprüft wurde“, heißt es in der Antwort auf eine kleine Anfrage der SPD. Die Hauptgeschäftsführerin der Berliner Anwaltskammer, Vera von Doetinchem, drückte es etwas unbürokratischer aus: „Das lief bei der Zulassung noch nach dem Motto ,Alter, gib mir 'nen Stempel‘.“
Hatte es zu Zeiten der Wende gerade mal 600 Anwälte in der gesamten DDR gegeben, schnellte ihre Zahl bis zum 3. Oktober 1990 auf 2.000 bis 2.500 hoch, schätzt Felix Busse. Zähneknirschend mußten die Anwaltskammern dann nach dem 3.Oktober auch neue Kollegen in ihren Reihen begrüßen wie den früheren DDR-Justizminister Kurt Wünsche, Generalstaatsanwalt Günter Wendland oder Günter Sarge, ehemals Präsident des obersten DDR- Gerichts. Vera von Doetinchem schätzte im letzten Sommer, daß allein in Berlin rund 200 „Belastete“ in der Kartei der Standesvertretung zu finden waren. Die Vermutung, daß durch das Gesetz arbeitslosen Juristen aus dem Westen ein Tätigkeitsfeld gesichert werden soll, scheint aber unzutreffend. Westler lassen sich nur „relativ zurückhaltend“ in den neuen Ländern nieder, erklärt Felix Busse — und das, obwohl es eine „eklatante Unterversorgung“ mit Anwälten gibt.
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