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Paul Simon spielte vor halbleeren Rängen

Zum ersten Mal trat ein internationaler Superstar live in Südafrika auf/ Die Androhung von massiven Protesten ließ viele Schwarze zu Hause bleiben/ Keine Spannungen und gute Stimmung im vorwiegend weißen Publikum  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Samstag abend um 20.20 Uhr Johannesburger Zeit ist es soweit. Im Ellis Park Stadion gehen die Lichter aus. Auf der Bühne erscheint ein kleiner Mann. Im Schlaglicht glüht sein weißer Anzug, glänzt die schwarze Gitarre: Paul Simon. Die Menge springt auf, jubelt. Nach tagelangen Kontroversen, einem Bombenanschlag und verbitterten politischen Kleinkämpfen beginnt Simons Südafrika-Tournee. „Wir haben so lange darauf gewartet, einen internationalen Superstar live in Südafrika erleben zu können“, meint ein weißer Konzertbesucher. „Jetzt ist es endlich soweit.“

Aber die Dunkelheit im Stadion verdeckt, was Simon dennoch weiß: Die Häfte der Plätze ist leer geblieben. Statt der erwarteten 65.000 Zuschauer sind nur knapp 45.000 aufgetaucht. Und selbst das Angebot von lediglich 65.000 Karten war eine Beschränkung aus Sicherheitsgründen. Zu einem Fußballspiel haben sich schon mal 90.000 Zuschauer in dieses Stadion gedrängt. Hinten auf dem Spielfeld ist auch zu Beginn von Simons Vorstellung noch genug Platz für die Frisbee-Spieler, die früher am Nachmittag eine rote Scheibe hin und her sausen ließen.

Noch am Freitag hatte die Azanische Jugendorganisation (Azayo), lautstärkste Gegnerin der Simon- Auftritte, vor „massiven Protesten“ gewarnt. Deshalb das große Polizeiaufgebot vor dem Stadion, mit Hubschraubern, Pferden, Panzerwagen. Die paar Dutzend Demonstranten, die am Samstag „Yankee go Home“ fordern, sind kaum als „massiv“ zu beschreiben. Aber die Drohungen waren dennoch wirksam genug. Azayo-Sprecher George Ngwenya ist in Siegesstimmung. „Die Schwarzen glauben, daß Befreiung wichtiger ist als Unterhaltung“, sagt er vor den Toren des Stadions. „Das haben sie gezeigt, indem sie weggeblieben sind.“

In der Tat sind 80 Prozent der Besucher Weiße. „Das mag mit Einschüchterung von Azayo zu tun haben, obwohl ich davon eigentlich nichts gespürt habe“, meint Archie, ein 36jähriger Büroangestellter aus Soweto. Aber er ist dennoch selbst nicht unbesorgt genug, um seinen Nachnamen zu nennen. Allerdings glaubt er auch, daß die Ticketpreise, zwischen 40 und 80 Rand (23 und 46 Mark), für viele Schwarze unerschwinglich sind. „Jetzt, nach Weihnachten, und zum Jahresanfang, wo wir Schuluniformen für die Kinder kaufen müssen, ist kein Geld mehr übrig.“

Gladys, eine junge schwarze Frau aus dem gemischten Stadtviertel Hillbrow, ist ganz froh, daß nur wenig andere Schwarze gekommen sind. „Da kommen auch die Tsotsis, die Taschendiebe und Gangster, nicht. Man braucht sich keine Sorgen zu machen“, ruft sie, während sie mit ihren Freundinnen wild vor der Bühne tanzt.

Die Überzahl der Weißen ist aber auch ein Zeichen für die Trennung nach Rassen, die Südafrikas Popkultur nach wie vor bestimmt. Und Paul Simon steht in Südafrika eben für „weiße Musik“, auch wenn die LP Graceland durch die enge Zusammenarbeit mit schwarzen südafrikanischen Musikern eine gewisse Brücke geschlagen hat. Aber Weiße haben „Ladysmith Black Mambazo“, eine der erfolgreichsten schwarzen Gruppen, sicher zum ersten Mal durch Simon kennengelernt. Und erst seit Graceland ist Simon jetzt auch ab und zu in den Townships zu hören.

Spannungen zwischen Schwarz und Weiß sind am Samstag aber keine zu spüren. Der markante Geruch bester südafrikanischer Joints legt sich über die tanzende Menge. Ein schwarzer Tänzer steckt schnuppernd die Nase in die Luft. „He, vergeßt mich nicht. Rückt mal was rüber“, ruft er. Und ein weißer Nachbar reicht ihm das glimmende Röllchen. Und in der Bar, einem fensterlosen Betonloch unter den Rängen, drängen sich Schwarz und Weiß an die strikt funktionale Theke. Da gibt es keine überflüssigen Spiegel, keine sinnlosen Regale. Die Bierkisten sind an der Wand gestapelt, ausgeschenkt wird in Plastikbechern. Und die Zecher widmen sich zielbewußt der Aufgabe, sich so schnell wie möglich zu besaufen. „He“, zieht ein Schwarzer an meinem Hemd. „Ich brauche deine objektive Meinung. Sind das nicht die zwei häßlichsten Gestalten, die du je gesehen hast?“ Und zeigt auf zwei weiße Kumpel.

Marilyn Herman, weiß, blond, viel Gold an den Fingern, sitzt indessen brav in den Rängen, neben sich ihren Mann und die 14jährige Tochter. „Ja, Angst vor Gewalt hatte ich schon“, sagt sie. „,But what the hell‘, habe ich gedacht. Ich kenne Paul Simon aus meiner Jugend, meine Tochter liebt ihn auch. Wann können Eltern und Kinder sonst schon zusammen zu einem Popkonzert gehen?“

Simon bietet dann aber doch nicht ganz die leichte Kost, die Fans wie Frau Herman erwartet hatten. Mit grossem „Ahh“ wird der Golden Oldie Bridge over Troubled Waters begrüßt. Aber nach wenigen Takten wird plötzlich ein dissonantes Reggae-Stück daraus, und die Zuschauer sind verdutzt. Und als Simons Band mit Saxophonist Michael Brecker und Schlagzeuger Steve Gadd ihr Können unter Beweis stellt und eine spritzige, komplizierte Jazznummer präsentiert, stehen die Tanzbeine still.

Aber nach den Zugaben ist alles vergeben. Denn da kommt Simon alleine mit Gitarre auf die Bühne und singt Songs aus den guten alten Zeiten von „Simon and Garfunkel“. Und bei Still Crazy after all these Years nimmt jeder sein Herzchen in die Arme und singt verliebt mit.

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