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Eisbären lassen sich nicht abwickeln

Die ehemaligen Berliner Staatszirkusse kämpfen um ihr Überleben/ Das Winterquartier des Zirkus an der Galopprennbahn Hoppegarten wurde unversehens zur teuren Immobilie/ Artisten legten Unternehmenskonzept vor  ■ Aus Berlin Heide Platen

Die kleine blonde Frau reckt sich auf die Zehenspitzen, Tusch, atemlose Stille im Zirkuszelt: Der riesige Eisbär senkt seinen Kopf zu ihr herab zum „Todeskuß“. Ursula Böttcher ist seit 1964 Zirkus-Dompteurin. Ein gutes Dutzend Eisbären machen in der Manege vor ihr Männchen. Ihr Partner kam 1990 durch die Bären ums Leben. Ursula Böttcher macht weiter. Wenn sie kann. Und das wird nicht an den Eisbären liegen, sondern an der Treuhand. Der Zirkus „Busch-Berolina“, eine Fusion aus zwei der vormals drei Staatszirkus- Betriebe der DDR, wehrt sich gegen die Schließung. Sein Kapital sind die Menschen und die Tiere.

Das Kapital, das der Treuhand derzeit unübersehbar ins Auge sticht, ist die Immobilie, auf der das Winterquartier steht: zwölf Hektar, 120.000 Quadratmeter, direkt neben der traditionsreichen Berliner Galopprennbahn Hoppegarten. Das weckt Begehrlichkeiten. Für das Gelände links der Ausfallstraße B 1 bieten Investoren zwischen zwei- und dreihundert Mark pro Quadratmeter. Das, fürchten die Zirkusleute, bricht ihnen das Genick. „Wir wären“, sagt ein Arbeiter verbittert, „schön längst plattgewalzt, wenn die Tiere nicht wären!“

Die elf Elefanten, die Kamele und Eisbären, die sechzehn indischen Löwen sind in der Tat ein Problem für die Treuhand. Sie lassen sich nicht so einfach wegsanieren. Insgesamt sind es noch hundert, der Rest wurde an Zoos und Tierparks verkauft. Die „Exotengruppe“ mit Büffeln, Zebras und Kamelen ging komplett an einen italienischen Zirkus. Vier Dingos und zwei Hyänen sind noch zu haben. Von den ehemals sechshundert Arbeitsplätzen „im Winterbestand“ sind noch hundertundzwanzig übrig geblieben.

Das so überraschend zur Nobeladresse avancierte weitläufige Winterquartier am Hoppegarten ist triest und heruntergekommen. Es fehlt Geld für die Reperaturen. Die Sorge nicht nur um ihre Existenz, sondern vor allem um die Tiere, ist allen Zirkusleuten anzumerken. Daß bisher auch nur ein Tier von ihnen aus Platz- oder Geldmangel getötet worden sei, verweisen sie empört in den Bereich der bösen Gerüchte.

Hanno Coldam ist mit den Zirkus alt geworden. An seine eigene Zukunft denkt er nicht, aber an die seiner sechzehn indischen Löwen. Mit leiser Stimme bittet er, „daß die Treuhand sie alle unterbringt“. Seine Tochter Marcella ist mit den Löwen aufgewachsen: „Mein Kinderwagen stand neben dem Raubtierkäfig.“ Sie zeigt die Großkatzen vor, hält bei der Löwin Shiva an, die ihr die Hand leckt. Shiva und Marcella sind einer der Höhepunkte der Manege. Sie schwingen gemeinsam auf einer Schaukel in der Zirkuskuppel.

Artisten in der Zirkuskuppel — ratlos? Nein, Marcella Coldam wirkt eher energisch. Sie weiß, daß die Treuhand sich mit ihren Löwen ebenso wie mit den Eisbären und Elefanten schwer tut. Die indischen Löwen, heller als afrikanische, sind fast ausgestorben. Sie überleben, sagt sie, frei nur noch in einem Reservat in Indien. Die aus ihrer Gruppe stammen alle aus einer Züchtung des Tierparks Friedrichsfelde, sind also „echte Berliner“ — und durch das Washingtoner Artenabkommen streng geschützt. Andererseits aber sind sie kaum verkäuflich. Zoos und Tierparks haben selber mehr als genug Löwennachwuchs. Außerdem sind die Tiere schwer in fremde Gruppen zu integrieren.

Ursula Böttcher kennt ihre Eisbären: „Die beißen sich tot.“ Der nominell hohe Wert ihrer Gruppe, pro Tier rund 20.000 Mark, macht sie also nicht reich. Das Angebot der Treuhand an die Artisten, ihre Tiere als Geschenk oder zu einem Symbolpreis zu übernehmen, lehnten sie deshalb ab. Hanno Coldam: „Ich kann sie ja nicht einfach mit nach Hause nehmen.“

Sowohl er wie auch Geschäftsführer Gerhard Klauß wissen allerdings auch, daß ihr Unternehmen immer ein Zuschußbetrieb war: „Da konnte eben jeder für eine Mark in den Zirkus gehen.“ Die Artisten wurden, anders als im Westen, nicht nur für eine Saison engagiert, sondern waren fest angestellt. Ursula Böttcher ist viel auf Auslandstourneen gereist: „Gemessen an denen ging es uns hier sehr gut.“ Daß das so nicht weiter gehen konnte, ist ihr klar.

Was sie und die anderen Artisten aber unisono besonders übel genommen haben ist, daß sie, vierzehn Tage nach der Premiere am 18. Dezember 1991 zu einer Vorführung besonderer Art beordert wurden. Mittags um zwölf Uhr gaben sie eine Sondervorstellung im Kostüm vor handverlesenen Gästen, unter anderem Zirkusdirektoren von Konkurrenzunternehmen. „Das“, protestiert einer, „war wie eine Viehauktion.“

Franz Wauschkuhn von der Pressestelle der Treuhand bestreitet das. Man habe sich nur über den Zustand und das Alter der Tiere informieren wollen, deshalb sei auch ein Veterinär dabei gewesen. Die Gäste „aus der internationalen Zirkuswelt“ hätten sie als Berater gebraucht, um sich ein Bild über Qualität und Überlebensfähigkeit des Zirkus zu machen. Das Gelände solle keinesfalls „verscherbelt“ werden, sondern gehe, wie das von anderen Betrieben auch, in den Besitz der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft über. Gerüchte, daß die Firma Siemens oder der durch das Barren, das Schlagen von Pferden vor Hindernissen, immer wieder ins Gerede gekommene Springreiter Paul Schockemöhle ihr Interesse angemeldet haben, weist er nicht ganz zurück. Der Name Schöckemöhle sei im Hoppegarten im Zusammenhang mit dem Rechtsnachfolger des Kaiserlichen Rennclubs von 1818, der Rennclub Union, aufgetaucht. Andere wissen auch, daß die Veba, das Land Brandenburg, Massa und Holiday Inn in Wartestellung ausharren. Daß der Zirkus nicht überlebensfähig sei, weist Geschäftsführer Klauß zurück. Immerhin hätten sie die Verluste in den letzten zwei Jahren kräftig eingedämmt, von dreizehn auf drei Millionen Mark, und ein Unternehmenskonzept vorgelegt: ein festes Veranstaltungshaus am Hoppegarten, ein Aquadrom, einen Zoo-Zirkus, ein Hotel, ein Freizeitgelände und nur noch einen Reisezirkus. Hinderlich sei, daß sie mit den Pächtern des „bis auf die letzte Ritze“ vermieteten Geländes nur kurze Verträge abschließen dürften. Ein Stiftungsmodell „Deutscher Nationalzirkus“, das sogar das — zuständige — Bundesinnenministerium befürwortete, hatte die Treuhand abgelehnt.

Pressesprecher Wauschkuhn sieht in der großen Immobilie eine „stille Subvention“. Das ginge hier so wenig wie bei anderen Unternehmen: „Die sollen sagen, was sie brauchen. Der Rest muß abgegeben werden.“ Das vorgelegte Konzept immerhin schaue „sich ja ganz gut an.“ Das beruhigt die Zirkusleute jedoch vorerst nicht. Die Vermietungen sind derzeit ihre einzige nennenswerte Einnahmequelle, und zur Tournee werden sie in diesem Jahr nur verspätet aufbrechen können. Der dritte ehemalige Staatszirkus, „Aeros“, versucht sein Glück zur Zeit mit Verhandlungen mit einem privaten Investor.

Währenddessen wäscht sich Eisbär „Neptun“ im Bade-Bassin das Fell und schüttelt sich prustend. Sein stolzes Alter von einunddreißig Jahren ist den Zirkusleuten ein Indiz für die pflegliche Haltung der Tiere. Die jüngsten der Bärengruppe sind drei bis vier Jahre alt. Die beiden Ladenhüter im Hyänenkäfig gähnen und Löwin Shiva leckt sich bedächtig die Pfote.

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