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Eine „Mitternachtsvase voll Gift und Galle“

■ Streit um Wolf Biermanns Stasi-Äußerungen zugespitzt / Offener Bief an den Freund Lew Kopelew

Hamburg (dpa) — Der Streit um Wolf Biermanns Stasi-Beschuldigungen bei der Entgegennahme des Büchner-Preises hat sich weiter zugespitzt. In der neuen Ausgabe des Hamburger Nachrichtenmagazins der 'Spiegel‘ weist Biermann in einem Offenen Brief in teilweise sehr drastischen Formulierungen Kritik von Lew Kopelew zurück. „Aus welchen dunklen Tiefen der russischen Seele nimmst Du die Grobheit, mir derart hemmungslos in die Seele zu treten?“, empört sich Biermann über Kopelew.

Der 79jährige, aus der Ukraine stammende Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels hatte seinem langjährigen Freund Wolf in einem persönlichen Brief Geschmacklosigkeit vorgeworfen wegen dessen Art, Stasi-Praktiken und Stasi-Mitarbeiter beim Namen, insbesondere im Fall des Lyrikers Sascha Anderson, zu nennen. Es sei widerlich, unausstehlich gewesen, wie Biermann über Christa Wolf geschrieben und sich über die Szene am Prenzlauer Berg geäußert habe, meinte Kopelew.

Als widerlich kritisierte er außerdem, wie sich der Dichter im Golf-Krieg zu US-Präsident George Bush und Oberbefehlshaber Norman Schwarzkopf „bekannt“ habe. „Du bist ein Dichter, von Gottes Gnaden berufen, und darfst nicht nebenberuflich als politisch-moralischer Richter, Blutrichter und Scharfrichter praktizieren“, meinte Kopelew.

In seinem Offenen Brief bezeichnet Biermann Kopelews Schreiben als „eine Mitternachtsvase voll Gift und Galle“. Die Empfehlung Kopelews, „in eigenem Dreck sich windende Zwerge“ (Stasi-Spitzel) nicht mit so „prunkendem literarischen Ornat“ zu bekriegen, weil dies würdelos sei und die Poesie auf der Strecke bleibe, wird von Biermann als „sublime Variation der Menschenverachtung“ kritisiert. Er wirft Kopelew schrullige Hierarchievorstellungen vor und fragt, wann denn jemand nach Kopelews Ansicht satisfaktionsfähig sei?

Ausdrücklich bekennt sich Biermann zu seiner Darmstädter Rede, bei der er „ganz nebenbei auch eine Stasi-Eiterbeule aufgestochen“ habe. Ihm gehe es nicht darum „gestürzte Zwerge“ zu verfolgen: „Es handelt sich um bekannte Leute, die munter weiter lügen und die alle schon wieder nach Einfluß und Macht greifen.“ Außerdem hätten ihm Freunde in Bonn gesagt, daß „ohne deine kleine Attacke im richtigen Moment“ das Stasi- Akten-Gesetz im Bundestag in der alten schlechteren Fassung verabschiedet worden wäre. Den westdeutschen Feuilletons wirft Biermann vor, sich mehr den Tätern als den Opfern zuzuwenden. Das modische Mitleid mit ihnen sei eine schlecht kaschierte Gewalttätigkeit gegen die Opfer, und es ist bei den Nutznießern des vergangenen Elends außerdem eine zynische Form des Selbstmitleids, schreibt Biermann.

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