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Kopfsprung ins Stadtbad

■ Design-Labor BHV zeigt unumstößliche Sessel und eigensinnige Tassen

“Kopfsprünge“ heißt die erste Ausstellung im Design-Labor Bremerhaven. Der Name ist Programm. Nicht nur für die vier präsentierten Designer-Gruppen, die zur Querdenker-Generation der 80er Jahre gehören, sondern auch für den Ort, in dem die Labor-Crew zu Hause ist: Im zentral gelegenen Stadtbad, seit 1986 für Badende geschlossen und 30 Jahre vorher als architektonisches Paradestück des 50er-Jahre-Zeitgeistes eröffnet.

In dem ehemaligem Bad wird seit einem Jahr gearbeitet. Das Design-Labor sei bewußt in der Provinz angesiedelt worden, um „kreative Menschen nach Bremerhaven zu bringen“. erzählt der zuständige Leiter des Bremer Berufsbildungsinstituts, Gerald Graupner, am Sonntagvormittag mehreren hundert Eröffnungsgästen. Aufträge kämen inzwischen nicht nur aus der einheimischen Wirtschaft und von der Stadt, sondern auch aus Polen und Griechenland. Und 18 DesignerInnen absolvieren gerade einen Lehrgang; hinterher dürfen sie sich „Systemberater für Produktgestaltung“ nennen. Graupner: „In diesem Jahr ist sehr viel mehr passiert, als wir erwartet haben.“

Dabei ist die Zukunft des Gebäudes noch immer umstritten. Eventuell müssen die Designer Ende 1993 ausziehen, weil die Hochschule Bremerhaven auf den günstig gelegenen Standort aus ist. Sie habe aber, so Graupner, inzwischen Interesse an einer Zusammenarbeit signalisiert. Ein Abriß des Gebäudes würde, glaubt er, bundesweiten Protest hervorrufen.

Die Ausstellung „Kopfsprünge“ zeigt — sehr sparsam — Objekte, Installationen, Videos und Fotoserien jener Designer- Gruppen, die vor zehn Jahren das Etikett „neue Wilde“ erhielten. Sie selber siedeln ihre Arbeiten zwischen Kunst und Nutzen an: Lichtsäulen von Volker Albus, Video-Filme von Andreas Brandolini, ein Entwurf zur individuellen Kaffeetassenproduktion der Gruppe „Kunstflug“ (Harald Hullmann, Heiko Bartels, Hardy Fischer) und eine Inszenierung der Berliner „Stiletto Studios“ auf den Sprungturmsockeln des 10-Meter-Turms.

„In sorgfältiger Abstufung und der gebührenden Distanz von drei, fünf, siebeneinhalb und zehn Metern Höhe“ werden „avantgardistische Vertreter unumstößlicher Sesselkultur“ (Katalog) aus der berühmten Vitra- Edition präsentiert: Vier teure Sitzmöbel aus gesägter Wellpappe, aus filigranem Streckmetall oder aus Edelstahl-Federblechen. Vom Turm herab hängt an einem Expandergummiseil Stilettos „Consumers Rest“, ein Einkaufswagen als Sitzmöbel. Die Design-Ikone kann mittels eines Seils zum Schwingen gebracht werden.

Wenn das Seil den „Eiertanz zwischen Kunst und Design“ nicht aushält, fällt das Drahtgebilde auf einen Monitor im Becken des Stadtbads, auf dem die von mehreren Kameras aufgezeichneten Bewegungen des Geräts wiedergegeben werden. „Der Seilriß würde auch die kommentierende Medienreproduktion durch den endgültigen Reinfall schlagartig beenden“, verspricht Stiletto im Katalog. Am Tag der Ausstellungs-Eröffnung machte das hängende Ruhemöbel noch keinen Kopfsprung. hh

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