: Heilige Johanna, armes Ding
■ »Die heilige Johanna« von George Bernard Shaw im Renaissance-Theater
Johanna, ein Bauernmädchen, fühlt sich berufen, die Engländer aus Frankreich zu vertreiben und den eigentlichen König in sein Amt zu setzen. Gegen alle Widerstände der männlichen Welt führt sie tatsächlich unter dem Banner Gottes die französischen Truppen zum Sieg. Doch die katholische Kirche Frankreichs paktiert mit den Engländern und erklärt sie aus Neid und Angst vor Machteinbuße zur Ketzerin. Nach der Krönung versagen ihr der König und seine Ritterschaft jegliche weitere Hilfe im Kampf gegen die Engländer. Johanna wird auf dem Schlachtfeld gefangengenommen und durch die Inquisition verurteilt. Sie stirbt auf dem Scheiterhaufen. Fünfundzwanzig Jahre später erscheinen vor dem sterbenden König Johanna und ehemalige Freunde und Feinde. Man bereut das Geschehene. Als jedoch ein Bote verkündet, daß Johanna eines Tages heiliggesprochen wird und sie fragt, ob sie wieder auf die Erde zurückkehren soll, wenden sich alle von ihr ab.
Auf der von Jörg Zimmermann hergestellten Bühne gibt es neben schwarzen Podesten und Treppenstufen einen Fundus von Theaterkostümen und Kopfbedeckungen. Schon in der ersten Szene merkt man, daß auf Glaubwürdigkeit weder in den Rollen noch in der Wahl der Kostüme Wert gelegt wird. In den folgenden Szenen wird diese Ahnung mit der Wucht eines Vorschlaghammers bestätigt: Die Kostüme von Renate Kalanke mischen Wehrmachtstiefel mit abgetretenen Schuhen, Bundeswehrhosen mit Hertie-Ware, Brustpanzer mit Woolworth-Sweatshirts, und alle tragen Jeans (ein Sponsoring einer unbekannten Heimarbeitsmanufaktur?). Keinem Darsteller glaubt man auch nur ein einziges Wort. Die Identifikation mit der Rolle bleibt bei aufgesetzten Ticks wie Humpeln oder ständiges Kopfschütteln stehen. Somit ist der Auftritt von Kurt Conradi als Poulengey ein echtes Highlight: mit bellender Sprache und der äußeren Erscheinung eines Dachdeckers versucht er der Aufgabe, jemand zu sein, Herr zu werden. Aber es kommt noch besser: Wurde im Programmheft darauf hingewiesen, daß man Johanna als Rebell und gefährliche Frau zeigen wollte, so macht der Auftritt von Beátrice Bergner alle Hoffnungen auf einen Schlag zunichte. Ganz abgesehen davon, daß sie wahrscheinlich selbst nicht weiß, was sie sagt oder es auf gar keinen Fall versteht, kleidet sie ihre hölzernen Bewegungen, nach dem Vorbild Pinocchios, mit dem ganzen Repertoire nichtssagender Gesten aus: ein Bild des Jammers. Denn anstatt einer gefährlichen Frau sieht man eine dumme Gans.
In den folgenden Szenen gibt es Beweise dafür, wie vorgefertigte Charakterbilder sich zu grauen Mauerblümchen pervertieren: denn auch wenn man die Peinlichkeit, daß »Blaubart« wirklich einen blauen Bart trägt, beiseite läßt, wirkt die Darstellung des verhinderten Königs eher wie eine Figur aus der Sesamstraße und nicht wie ein zu kurz gekommener Dauphin. Nach einem kurzen Ausblick in die Hoffnungslosigkeit der Schauspielausbildung in der Dunois/Pagen-Szene kann man im Gespräch des Grafen Warwick mit dem Kaplan Stogumber und Peter Cauchon zwar einen Moment der Schauspielerei erahnen, muß aber gleichzeitig die Unfähigkeiten der Dramaturgie bemängeln: mit zwanzigminütiger Spieldauer ist dieses Gespräch einfach einschläfernd langweilig und sonst nichts. Doch die Pause gab dann nach zweistündiger Quälerei endlich die Möglichkeit zur Flucht.
Was Gerhard Klingenberg hier, nach all seinen Leistungen der Vergangenheit, inszeniert hat, ist, mit milden Worten ausgedrückt, einfach Ramsch. Nichts stimmt in dieser Produktion, und man bedauert, einen so guten Text so unangemessen umgesetzt zu sehen. Das hätte das Stadttheater Hildesheim mindestens genausogut gekonnt. York Reich
Weitere Aufführungen: 14.-19. Januar jeweils um 20 Uhr im Renaissance-Theater, Hardenbergstraße 6, Charlottenburg
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