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Wild Man und Biene Maja

■ Boris, Anke und viele, viele andere Tennis-Millionäre bei den Australian Open in Melbourne

Melbourne (taz) — Der interessanteste Spieler ist bei den Australian Open leider schon am Samstag ausgeschieden. Da flog der Amerikaner Silvano „Wild Man“ Simone in der ersten Runde des Qualifikationsturniers für das Grand-Slam- Ereignis raus. Nur „Wild Man“ hätte vom Unterhaltungswert den hier nicht antretenden Andre Agassi ersetzen können. Simone sieht nämlich aus wie ein versoffener Agassi mit 35 Jahren, lange nachdem die Tennismillionen in Las Vegas'schen Casinos verpraßt worden sind, eine tragikomische Kopie bis ins Detail, ob Zottelhaare oder Gegrunze. Leider spielt der Weltraglisten-905te auch wie Agassi unter Alkohol — an ihm kann man sich nur noch beim Training erfreuen.

So müssen eben die anderen für Spannung sorgen. Für Boris Becker könnte das schwierig werden: Beim Auftaktmatch gegen den Schweden Jan Gunnarson zeigte sich Boris mal wieder von seiner übermenschlichen Seite. 25 Asse in 13 Aufschlagspielen, „das ist sogar für mich 'ne ganze Menge“, zeigte sich der Titelverteidiger erstaunt und unbescheiden. Beim 6:2, 6:4, 6:2-Sieg über Jan, den Vater dreier Kinder, war der unverheiratete Becker so drückend überlegen, daß keine Sekunde Nervenkitzel aufkam.

Es geht ihm einfach zu gut zur Zeit. Keine Verletzungen plagen ihn, sein Tennis macht ihm „riesig Spaß“, zudem turtelt er mit der lieben Barbara durchs relaxte Australien. Besser als in Germanien, „da wollen mich die Leute immer gleich umarmen oder daß ich ihre Tochter heiraten soll“, klagt Boris. Nur ein Knüppel aus dem besitzergreifenden Deutschland kann Boris jetzt noch von einem Durchmarsch in Melbourne zwischen die Beine geworfen werden. Von einem Fotografen hat er nach seinem Spiel einen großen Stapel bunter Illustrierter bekommen, deren Titelbilder vielleicht sein inneres Gleichgewicht gefährden könnten. Von Fotomontagen mit Boris und Barbara als Brautpaar bis zu einigen fiesen Texten („Liebesfalle: Sie will nur sein Geld“) hat Boris da einiges zu verdauen.

Schwere innere Kämpfe mußte auch Anke Huber gegen ihre frühere Trainingspartnerin, die Augsburgerin Maja Zivec-Skulj, austragen. Im ersten Satz quälten die 17jährige Anke Bilder von einer desaströsen Erstrundenniederlage gegen Maja vor neun Jahren bei den Bruchsaler Bezirksmeisterschaften, Damen B. Wie die Pein des damaligen 0:6, 1:6 an ihr vorbeizog, war der Satz schon wieder weg. Doch da die ein Jahr ältere Maja ein wenig zum Pummeln neigt (mit ihrem blonden Lockenkopf erinnert sie dadurch fatal an die gleichnamige Biene), wurden ihre Schritte langsamer und langsamer, so daß die schlanke Anke die nächsten Sätze doch noch gewann (6:3, 6:1). Meide den Honig und fliege höher, rät der Bienenexperte.

Der fitneßbewußte Charly Steeb (McMilchschnitte) baute bei seinem Dreisatzsieg über den Italiener Renzo Furlan nicht viele Kohlehydrate ab und durfte gestern abend nur einen halben Teller Nudeln essen. Fünf Teller und ein paar Antidepressiva braucht hingegen Karsten Braasch aus Marl. Der 24jährige verdubelte gegen Jacco Eltingh (Holland) erst eine Zweisatzführung und servierte dann auch noch drei Doppelfehler beim Stand von 5:5 im Fünften. Nach dem frustrierenden 5:7 brauchte Braasch dann erst mal eine Zigarette — im linken Mundwinkel und wundervoll mit dem dunklen Dreitagebart korrespondierend. Das sah so schön nach James Dean aus — da konnte man sich doch für kurze Zeit die Tränen um Agassi aus den Augen wischen. Show ist eben alles. Mario Vigl

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