: Stahlindustrie vor dem Arbeitskampf
■ Gewerkschaft sieht Chancen für Einigung auf dem Verhandlungsweg als nur noch „minimal“, obwohl sich die Tarifpartner in den Verhandlungen bis auf ein Prozent angenähert hatten
Gelsenkirchen (ap) — In der Stahlindustrie Nordrhein-Westfalens, Niedersachsens und Bremens droht der erste Arbeitskampf dieses Jahres. Nach dem Scheitern der achten Runde der Tarifverhandlungen für die 130.000 Stahlarbeiter am Montag morgen in Gelsenkirchen sagte Gewerkschaftssprecher Jörg Barczynski, der Vorstand der IG Metall werde am Dienstag einen Termin für die Urabstimmung festlegen. Wenn die Arbeitgeber sich nicht noch zu einem besseren Angebot entschlössen, sei damit zu rechnen, daß in etwa 14 Tagen „die Öfen ausgehen“. Die Arbeitgeber sprachen von einer nur noch „theoretischen Chance“, den Arbeitskampf zu vermeiden.
Zuletzt hatten nach Angaben der Gewerkschaft das Angebot der Arbeitgeber und das Modell der Industriegewerkschaft Metall nur noch um rund ein Prozent auseinandergelegen. Die Arbeitgeber hatten in den mehr als 14stündigen Verhandlungen Einkommensverbesserungen in Höhe von 5,2 Prozent angeboten. Das Forderungspaket der Gewerkschaften habe ein Volumen von „knapp über sechs Prozent“ gehabt, hieß es bei der IG Metall. Offensichtlich sei eine „Sechs vor dem Komma“ für die Arbeitgeber politisch nicht akzeptabel, sagte der Verhandlungsführer der IG Metall, Lorenz Brockhues.
Die Gewerkschaft orientierte sich bei ihrem Lösungsvorschlag deutlich am letzten Abschluß der Metallindustrie. Ihr Konzept sah Einmalzahlungen von je 300 Mark für die Monate November und Dezember sowie Einkommensverbesserungen von 5,2 Prozent ab Januar vor. Zum 1. Juli forderte die Gewerkschaft eine Vorweganhebung der Ecklöhne um 16 Pfennig und eine zweite Stufe der Einkommensverbesserung auf insgesamt 6,7 Prozent. Am Jahresende hätten damit die Stahlarbeiter die bestehende Einkommenslücke zu den Metallern geschlossen, erklärte ein Gewerkschaftssprecher das Ziel des Vorschlags.
Die Arbeitgeber hatten dagegen angeboten, die Löhne und Gehälter zunächst für die Dauer von sechs Monaten um 4,8 Prozent, anschließend für weitere sechs Monate um insgesamt 5,6 Prozent aufzustocken. Dies lehnte die Gewerkschaft als unzureichend ab. Die Große Tarifkommission der IG Metall bekräftigte am Montag angesichts des Verhandlungsstandes einstimmig ihre Empfehlung an den Gewerkschaftsvorstand, die Urabstimmungen umgehend einzuleiten. Bei der Urabstimmung müssen 75 Prozent der Betroffenen für den Streik stimmen, um einen Arbeitskampf zu ermöglichen.
Verhandlungsführer Brockhues betonte, die Gewerkschaft wünsche eine Lösung auf dem Verhandlungsweg. Doch seien die Chancen dafür wegen der starren Haltung der Arbeitgeber minimal. Solange die Vorbereitungen für die Urabstimmung noch liefen, könnten jedoch noch neue Angebote vorgelegt und weitere Gespräche geführt werden. Wenn in etwa einer Woche die Urabstimmungen erst einmal begonnen hätten, sei dagegen eine Lösung ohne Arbeitskampf nicht mehr möglich. „Dann wird gestreikt“, betonte der Gewerkschafter.
Der Sprecher des Arbeitgeberverbandes, Josef Senn, sagte dagegen, die Frage nach einem neuen Angebot sei falsch gestellt. Die Gewerkschaften hätten die in dem Arbeitgeberangebot enthaltenen Chancen nicht erkannt. Zuletzt war in der Stahlindustrie im Winter 1978/79 gestreikt worden. Der Arbeitskampf um den Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung hatte damals 44 Tage gedauert.
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