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„Ich wußte, ich würde sterben“

Thomas Svensson saß in der schwedischen Maschine, die am Freitag, den 27. Dezember auf dem Flug von Stockholm nach Kopenhagen abstürzte. Svensson ist Handballer bei „Atletico“ Madrid.

Mein Platz war in Reihe 15, direkt neben dem Gang. Das Flugzeug startete um 8 Uhr 47. Beim Abheben verlief alles normal, aber nach zwei Minuten in der Luft hörte man seltsame Geräusche. Pum, pum, pum! Sie waren so laut, daß ich sie trotz meiner Musik hören konnte. Ich nahm den Kopfhörer ab und sagte zu meinen Nachbarn, ich flöge viel, hätte solche Geräusche jedoch sonst nie gehört.

Das Pärchen an meiner Seite zeigte sich ebenfalls beunruhigt. Pum, pum, pum! Es wurde immer lauter, und unsere Angst wuchs. Dann hörte man einen sehr harten Schlag, ein enormes Getöse, von dem man nicht wußte, woher es kam. Durch das Fenster konnte ich einen Blitz sehen, dann roch es verbrannt. In diesem Moment gingen die Motoren des Flugzeugs aus, und alles wurde still. Man hörte nichts. Niemand sprach. Totenstille, dachte ich. Und verspürte noch mehr Angst...

Es vergingen einige Sekunden, die mir wie Jahrhunderte vorkamen. Die Leute wurden nervös und begannen die Stewardessen zu fragen. Dann meldete sich der Flugkapitän Stefan Rasmussan über Lautsprecher. Er sagte, daß es Probleme mit den Motoren gäbe und daß er das Flugzeug auf 3.000 Meter bringen wollte. Doch nach 100 Metern meldete er sich wieder und sagte, daß er Schwierigkeiten hätte, aufzusteigen. „Wir werden versuchen, die Motoren zu starten und den Aufstieg fortzusetzen. Bleiben sie ruhig“, hörte ich die Stimme des Kapitäns. Zu dem Zeitpunkt fing ich an zu glauben, daß das nicht gut enden würde. Wenige Sekunden nach der Mitteilung des Kapitäns gingen die roten Lichter an, und irgend jemand schrie: „Notfall! Notfall!“ Die Stewardessen sagten uns, wir sollten den Kopf zwischen die Knie legen und uns so gut wie möglich auf eine Notlandung vorbereiten. Da hörte mein Leben auf. „Jetzt wirst du sterben. Auf Wiedersehen, Thomas“, sagte ich zu mir. Ich war so sicher, daß ich sterben würde, daß mir der Gedanke, irgend jemand würde den Unfall überleben, nicht einmal durch den Kopf ging. Ich hatte keine Angst, ich akzeptierte den Tod sofort. Ich hatte nur Angst vor dem Schmerz. Ich hatte Angst vor der Art, wie ich sterben könnte, Schlag oder Verbrennen... Es sollte nur schnell gehen.

Ich dachte an meine Familie, an meine Freundin. Ich stellte mir vor, wie traurig sie sein würden, und ich dachte an die Tragödie in meinem Haus. Das Flugzeug begann mit voller Geschwindigkeit runterzugehen. Ich fühlte den Druck in meinen Ohren wie ein teuflisches Pfeifen. Man konnte nichts sehen, und das machte alles noch schwieriger. Ich kalkulierte die Meter, die uns noch bis zum Aufprall blieben, aber ich sah den Boden nicht.

Als es nur noch ein paar hundert Meter waren, sah ich die Erde. Es waren ausgedehnte Wälder und Felder, und ich dachte, mir würden nur noch einige Sekunden Leben bleiben. Ich spürte, wie wir geradezu in den Wald stürzten, und begann, Schläge unter meinen Füßen zu hören. Die Schläge wurden immer stärker, weil Baumstämme härter sind als Wipfel. Das Flugzeug rasierte die Bäume ab, und wir waren kurz vor dem großen Aufprall.

Im Inneren des Flugzeugs hing alles in der Luft. Plastik, Kleider, Koffer, Personen. Es sah aus, als flögen sie zwischen Sitzen und Decke. Es ist unglaublich, daß niemand ums Leben kam, denn die Leute stießen gegen die Fenster und Türen. Alle schrien und weinten. Ein Junge in meiner Nähe rief: „Mama, Mama.“

Plötzlich sah ich Schnee, und das Flugzeug zerbrach in drei Teile. Ich saß im mittleren. Vor mir klaffte ein riesiges Loch und hinter mir auch. Alles roch nach Treibstoff. Einen Moment lang wußte ich nicht, ob ich im Himmel war oder auf der Erde. Ich stellte fest, daß ich bei Bewußtsein war und lebendig. „Ich muß hier raus. Das wird explodieren“, dachte ich. Ich sah, daß der Gang frei war und rannte los. Ich rannte wie ein Verrückter, bis ich draußen war. Es lag Schnee, und es war sehr, sehr kalt. Ich kam als dritter oder vierter, und hinter mir drängten viele Leute heraus. Wir waren alle naß vom Treibstoff. Wir entfernten uns ungefähr hundert Meter von dem Flugzeug. Von dort sahen wir, wie immer noch Leute herauskamen. Einer ging gar zurück, um sein Jacket zu holen — als ob nichts passiert wäre.

Ich fand mich mitten in einem Wald, nur mit Jeans und einem dünnen Pullover bekleidet. Meine Jacke hatte ich bei dem Unfall verloren. Manche Leute waren barfuß und zitterten vor Kälte. Wir halfen ihnen mit ein paar Kleidungsstücken aus. Nach 15 Minuten kamen die Rettungsmannschaften an.

Sie brachten uns in eine nahegelegene Hütte, wo uns Ärzte und Psychologen betreuten. Von dort rief ich meine Freundin an. Kurz danach brachte uns ein Hubschrauber zum Flughafen. Mein Vater und meine Freundin warteten dort auf mich. Ich fuhr nach Eskilstuna in mein Dorf zurück und frage mich noch immer, warum ich lebe.

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