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Hippies und Mafiosi

■ „Fiesco“ am Deutschen Theater Berlin

Zwei Premieren gab es in Berlin am vergangenen Wochenende. Kontinente voneinander entfernt, Sibirien (das Stück von Felix Mitterer mit Fritz Muliar, eine Übernahme vom Wiener Burgtheater) und Fiesco, von Schiller in Oberitalien angesiedelt und von Friedo Solter am Deutschen Theater als oberpostmodernes Gaunerstück inszeniert. Zu jedem Stück konnte man ein Programmheft erwerben, das nicht nur Nachhilfe bei den Namen der Schauspieler erteilt, sondern auch über Langeweile während der Aufführung hinwegzublättern hilft. Werden sonst garantiert Baudrillard und Nietzsche zum philosophischen Ausloten (solide und schwer) der Stückvorlage zitiert, so findet sich diesmal in beiden Programmheften der so unterschiedlichen Stücke und Inszenierungen ein und derselbe Autor bemüht: der irre Dichter Georg Paulmichl (kürzlich durch eine szenische Lesung im Schauspielhaus Bochum entdeckt), der sich den klug-naiven Blick eines Papalagi bewahrt hat. Man schmücke sich nie mit fremden Federn...

Wenn Frank Castorf zur Volksbühne und Heiner Müller ans Berliner Ensemble wechseln, dann wird Friedo Solter, neben dem Regisseur- Intendanten Langhoff selbst, der einzig verbleibende Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin sein (Langhoff liebäugelt in diesem Fall mit Anselm Weber, dazu mehr auf dieser Seite). Seinen alten Chef, Dieter Mann, läßt Solter den tugendsamen, menschenverachtenden Republikaner Verrina und Gegenspieler Fiescos spielen: Ironie der Geschichte? Dieter Mann spielt ihn gräulich, sauertöpfisch und mit verbissener Miene. Die angebrochene Zeit scheint dem Manne nicht zu passen.

Ach, Fiesco! Gigolo, Bandit, kleiner Al Capone, halber Mafioso, Schmierenkomödiant. Der Fürstensohn Gianettino, ein fetter Rocker mit weichlichen Zügen. Seine Schwester Julia, eine um so straffer wirkende, energisch gegen das unvermeidlich vorrückende Alter sich schlank stretchende Frau (auf das Klischee von der falschen Haartracht konnte auch diesmal nicht verzichtet werden). Und Fiescos um Zuwendung — und verschiedene Szenen — betrogenes Weib Leonore als große blonde Hippie-Frau, wie überhaupt die Sixties auf der Bühne Einzug gehalten haben. Flower-Power, ein Verkleidungsspiel für lustige Partygäste, die das Mörderspiel spielen, und der große dürre Mann — „der Mohr hat seine Schuldigkeit (Arbeit heißt es hier) getan“ —, der aussieht wie ein Dealer, erweist sich eben als das (auf)rechte Schlitzohr. Nur das ganz in weiß gehaltene Bühnenbild mit seinen seitlichen Spiegelschwingtüren, das — natürlich leicht angeschrägt — einen großen länglichen Raum formatiert, will nicht ins Ambiente der 60er passen. Die 80er und ein Jargon der Beliebigkeit.

Jeder Szenenwechsel wird durch Musikeinspielungen überbrückt, den sanftseichten Erkennungsmelodien aus dem Radio gleich. Nur zum beinahe tragischen Schluß hin scheint die Musik auf Wagners drohende Baßgeigen umzuschwenken. Darum gibt es ihn gleich zweimal, wie ja auch Schiller mindestens zwei Schlußfassungen geschrieben hat: einmal die Ermordung Fiescos durch Verrina, nachdem der angehende neue Fürst der Republik seine zur Jeanne d'Arc geadelte Frau unversehens erdolcht hat; und noch einmal die abgewendete Erdolchung eines durch den schrecklichen Tod seiner Frau geläuterten Fiesco, der den Herzogmantel und die Macht abgibt — und im rot glühenden Abend- oder Morgenlicht die Republik ausruft. Kein Licht der Aufklärung, ein Licht der (ironisierten) Verklärung.

Ironisieren läßt sich alles, nur mit fremden Federn schmücken sollte man sich nicht. Ironie hat mit Erfahrung zu tun, die sich manchmal schlicht mitteilen muß. Sabine Seifert

Friedrich Schiller: Fiesco. Regie: Friedo Solter. Bühne: Hans-Jürgen Nikulka. Mit Dieter Mann, Michael Schweighöfer, Claudia Geisler, Eva Weißenborn, Otto Mellies. Deutsches Theater Berlin, Kammerspiele. Nächste Aufführungen: 17. und 22.Januar.

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