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In einer Zelle drängten sich bis zu 400 Frauen

Die eritreische Volksbefreiungsfront erlaubt die Besichtigung von ehemaligem politischen Gefängnis Miriam Gimbis  ■ Aus Asmara Bettina Gaus

Geduldig stehen Hunderte von Männern, Frauen und Kindern unter der heißen Mittagssonne Asmaras vor einem geschlossenen Tor. Stundenlang. Nur langsam rückt die Schlange vor. In kleinen Gruppen dürfen die Wartenden passieren und einen Ort betreten, der über Jahre hinweg die Bevölkerung in Angst versetzt hat: Das ehemalige politische Gefängnis Miriam Gimbi. Die EPLF, die eritreische Volksbefreiungsfront, hat es für einige Tage zur Besichtigung freigegeben. Die Führer, die die BesucherInnen begleiten, kennen die Stätte genau: Sie waren einst selbst hier Gefangene.

„In einer Zelle lebten bis zu hundert Häftlinge. Es gab keinen Platz zum Liegen und keine Matratzen, wir mußten knien. Einige wurden draußen auf dem Flur angekettet“, berichtet Teklehaimanot Sletzion. Der Drucker war 1988 am Arbeitsplatz verhaftet worden und hat in Miriam Gimbi drei Monate verbracht, bevor er für zwei Jahre in ein anderes Gefängnis verlegt wurde. Grund: Er gehörte zur EPLF.

Nicht nur Männer wurden hier gefangen gehalten. In einer einzigen Zelle, weniger als 100 Quadratmeter groß, drängten sich bis zu 400 Frauen. Einige haben hier Kinder zur Welt gebracht. Zweimal am Tag durften sie auf die Toilette gehen. Unmittelbar neben der Latrine, etwas tiefer gelegen, ein viereckiger Platz mit festgestampftem Boden: Die ehemalige Exekutionsstätte. „Als das Massengrab voll war, haben sie Gefangene an einem anderen Ort außerhalb des Gefängnisses erschossen.“ An dieser Stelle verliert eine alte Frau unserer Gruppe die Fassung. Sie beginnt zu weinen und stammelt immer wieder: „Warum?“

Viele BesucherInnen haben Tränen in den Augen. „Die Gefangenen bekamen ihr Essen von den Familien“, erzählt mir später der Taxifahrer. „Wenn das Essen unberührt zurückkam, wußten sie: Der Häftling ist tot.“ In einem kleinen Seitengebäude lag die Folterkammer. Die Opfer wurden auf die Papageienschaukel gebunden, in Kloakenwasser getaucht, auf die Fußsohlen geschlagen und anschließend gezwungen, über spitze Steine zu laufen. Oder mit Elektroschocks gequält: „Dann gibst du alles zu“, sagt Teklehaimanot Sletzion.

Die Krankenstation in einem anderen Haus ist sauber und gepflegt. „Es gab genug Medizin, aber die Angestellten haben sie heimlich in der Stadt verkauft.“ Wer nach der Folter in die Krankenstation gebracht wurde, hatte Grund zur Todesangst: Genau darunter befand sich die gefürchtete Dunkelzelle. 3 Meter breit, 4 lang, 1,80 Meter hoch. 50 oder 60 Gefangene waren hier gleichzeitig eingeschlossen, manche zwei Monate. Viele sind in diesem Raum gestorben, in dem sich selbst bei geöffneter Dachluke ohne Licht nichts erkennen läßt. Wie viele? „Woher soll das heute noch jemand wissen?“

Massengräber gefunden

Addis Abeba (dpa) — Auch in Äthopien wurden Menschen unter grauenhaften Bedingungen vernichtet. Einige der Massengräber aus der Zeit des „roten Terrors“ sind inzwischen entdeckt worden — mit über 2.000 Leichen. Sie befinden sich an der Nationalstraße zwischen Addis Abeba und Debre Zeit (40 Kilometer südlich der Hauptstadt).

Bei den Toten handelt es sich wahrscheinlich um Opfer einer Verfolgungkampagne, die das kommunistische Regime 1977 gegen sogenannte „radikale Elemente“ geführt hatte. Einige der Politiker, denen eine Beteiligung an dem Massenmord vorgeworfen wird, befinden sich bereits in Haft.

Die meisten sind jedoch außer Landes geflohen, nachdem das Regime des kommunistischen Diktators Mengistu Haile Mariam im Mai 1990 gestürzt wurde.

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