: Kurdistan-Bremen-Sachsen-Bremen
■ Flüchtlingsfamilie seit über vier Monaten illegal ohne Geld und Wohnung
15.000 Mark von Kurdistan bis Bremen, soviel kostete die Flucht mit einer Schlepperorganisation für die sechsköpfige Familie Turan (Namen geändert). Bremen sollte das Ziel sein und auch bleiben. Denn hier wohnt ein Bruder von Mehmet Turan, und Bremen ist auch Heimat vieler Kurden aus der Gegend um Bingöl, Grund dafür, warum gerade Kurden aus dieser Region hierher kommen.
Auch Mehmet Turan lebte mit seiner Frau und ihren vier Kindern in Bingöl. Für kurdische Verhältnisse war er ein reicher Mann, ihm gehörten zwei Geschäfte. Turan unterstützte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Er verteilte deren Zeitungen und erledigte Botengänge. Mehrmals wurde er festgenommen und gefoltert, damit er Namen ihm bekannter PKK- Kämpfer preisgibt. Aus Befürchtung vor weiteren Folterungen kam der Entschluß zur Flucht.
Nach 4.000 Kilometern Fahrt durch Osteuropa traf die Familie im Juli in Bremen ein. Sie stellte hier ihren Asylantrag und bezog eine Erstunterkunft. Einen Monat später kam die Zuweisung durch das Zirndorfer Bundesamt: Chemnitz in Sachsen. Angst hatten sie schon, erinnert sich Mehmet Turan, aber losfahren wollten sie trotzdem. Schon auf der Zugfahrt durch die ehemalige DDR wurden sie beschimpft. Worte, die sie zwar nicht verstanden, eindeutig war die Botschaft trotzdem. In Chemnitz angekommen wurden sie auf dem Weg vom
Lieber keinen Koffer in Sachsen: Familie Turan ist wieder in BremenFoto: Veit Mette
Bahnhof zur Ausländerbehörde ein zweites Mal mit Ausländerhaß konfrontiert.
Nach den Beschimpfungen und Bedrohungen stand für die Familie fest, daß sie auf keinen Fall dort bleiben, „dieser Angst konnten und wollten wir uns nicht aussetzen“. Noch am selben Tag kehrten sie nach Bremen zurück. Der Widerspruch gegen die Zuweisung wurde kurz darauf von der Bremer Innenbehörde abgelehnt, ihr Anwalt sah jetzt keine juristischen Möglichkeiten mehr. Deshalb beschlossen sie, in Bremen unterzutauchen. Über ihren
Anwalt versucht die Familie für die sächsische Behörde erreichbar zu bleiben, damit das Anerkennungsverfahren weiterlaufen kann.
Die Angst vor einer Rückkehr nach Sachsen bestimmt trotzdem ihr tägliches Leben, denn „abgetauchte Flüchtlinge, die aufgegriffen werden, schickt die Polizei sofort zurück“, so der Sprecher der Innenbehörde. Dieses würde ihnen nicht drohen, hätten sie ihren Erstantrag in Nordrhein- Westfalen gestellt. „Weil die Sicherheit von Asylbewerbern in Sachsen nicht in dem erforderlichen Umfang gewährleistet ist“, hatte das Oberverwaltungsgericht Münster im Oktober die Umverteilung nach Sachsen gestoppt. Flüchtlinge, die einer Umverteilung nach Sachsen nicht nachkommen wollen, können seitdem in NRW bleiben. Für das Bremer Verwaltungsgericht stellt sich hingegen die Lage in Ostdeutschland als nicht problematischer dar als im Westen. „Nur wenn sich der Staat als nicht willens oder in der Lage zum Schutz zeigen würde, hätten Klagen Erfolg,“ gibt der Bremer Anwalt Eberhard Schultz das Gericht wieder. Schultz schätzt, daß „zumindest von den Kurden, die eine Zuweisung in die Ex-DDR erhalten, bis zu fünfzig Prozent wieder zurückkommen.“ Der Hamburger Arbeitskreis Asyl geht von einer noch höheren Zahl aus. Von den 5.000 im letzten Jahr von Hamburg aus umverteilten Asylbewerbern sollen 60 Prozent umgekehrt sein.
Zu ihrem illegalen Aufenthaltsstatus kommen noch andere große Probleme, da das Sozialamt nur beim Aufenthalt am Zu
weisungsort Unterstützung gewährt. „Wir ziehen ständig zwischen sechs Familie umher, jeden Tag stören wir eine Familie“, sagt Mehmet Turan, „Geld mußten wir uns bisher von Freunden und Verwandten leihen“. Nach über vier Monaten ist aber die Situation so unerträglich geworden, daß sich die Familie jetzt an die Öffentlichkeit wendet. Über einen neuen Anwalt soll der Versuch unternommen werden, gegen die Zuweisung nach Sachsen zu klagen. Bis dahin ist die Familie weiter auf Unterstützung angewiesen. Mehmet Turan: „Wir haben den Wunsch, in West- Deutschland unser Verfahren abzuwarten und hoffen, daß kirchliche Kreise oder humanitäre Gruppen uns ein Zimmer und Kleidung zur Verfügung stellen, solange wir dies nicht vom Sozialamt bekommen“. clö
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