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Alles Kunst im Pumpenwerk?

■ »A space without art« — eine Ausstellung in der Pumpenfabrik in Berlin-Mitte

Am bündigsten hat wohl Charlie Chaplin das Verhältnis vom Künstler zur industriellen Gesellschaft in Moderne Zeiten ausgedrückt. Vor einer gewaltigen Apparatur stehend, verfällt der verliebte Charlie ins Träumen. Dabei bleibt er an einem Hebel hängen, der ihn flugs ins Räderwerk der Maschine befördert, die der verdutzte Charlie dann in unnachahmbar komischer (und poetischer) Weise durchlaufen muß. Am Ende kommt wieder ein ganzer Charlie heraus, der von seinem Vorarbeiter sofort die Leviten gelesen kriegt. Einen Moment lang fallen vorher Wunsch und Maschine zusammen.

Die andere Utopie vom Kunstschaffenden in der Gesellschaft hat sich mit der Wende ausgeträumt. Noch im Grußwort des ZK der SED zum 9. Künstlerkongreß der DDR hatte Erich Honecker geschrieben: »Für Ihre erfolgreiche Tätigkeit sind die Verbindungen zu den Werktätigen in der Industrie, im Bauwesen und der Landwirtschaft sowie den anderen Bereichen, zu staatlichen und gesellschaftlichen Auftraggebern eine entscheidende Grundlage.« Inzwischen ist den Arbeitern und Bauern der Staat und den Künstlern der Sinnzusammenhang verlorengegangen. Für ein ungewöhnliches Joint-venture haben sich die »Übriggebliebenen« (so Urs Jaeggi im Katalog) aus Industrie und Kunst zusammengetan. Die Ausstellung Zeitpumpe — A space without art will beide Löcher stopfen helfen — das im Portemonnaie der Arbeiter und das im Selbstverständnis der Künstlerinnen und Künstler.

Die Pumpenfabrik Hermann Herholz besteht bereits seit 1896 und konnte allen Entwicklungswellen zum Trotz in der DDR privatwirtschaften. Die erhaltene Autonomie macht die Firma schon aus diesem Grund zu einer Art Artefakt. Doch in der Zeit von Plastikprodukt und Computerdesign läuft die gußeiserne Pumpe Gefahr, auf dem Schrott zu landen. Nun haben sich unter der Federführung von Klara Wallner einige Künstler (Rainer Görß, Christiane ten Hoevel, Urs Jaeggi, Jozef Legrand und Raffael Rheinsberg) des Werkes angenommen, wovon sich der leitende Ingenieur der Firma, Reinhard Mania, einerseits einen Werbeeffekt verspricht, andererseits aber seine Skepsis im Gespräch äußert. Denn die Gefahr der Romantisierung liegt nahe. Wenn durch die Aktion der Ort nostalgisch verklärt würde, wäre gegenüber der schlechten Ertragslage nur die Bestätigung dafür geleistet, daß die Industrie längst überholt ist, egal, wie echt die Arbeiter an den Maschinen sind. Die Künstler bewegen sich genauso unsicher auf die Arbeitswelt zu.

Fabriken zu Kunstwerken zu erklären, Arbeitsstätten ästhetisch zu besetzen, das hat es alles schon in den siebziger Jahren gegeben. Heute interessieren sich die Künstler weniger für das Ereignis als für die hinter der Aktion stehenden Erfahrungen. Gerade deswegen haben sie die Firma in ihrem Zustand belassen, ohne künstlerische Eingriffe. In der Ruhepause am Wochenende zwischen der letzten und der ersten Schicht, stellt der Ort für sie einen Nullpunkt dar. Für diesen Augenblick, in dem auch der Besucher verunsichert wird, ist die weiterführende Überlegung überzeugend in der Form des einzigen Exponats umgesetzt worden: Im Vorraum des Firmenbüros liegen Kataloge aus. Dort finden sich die eigentlichen Arbeiten, Essays zu der Frage, ob und in welcher Form Kunst noch möglich sei.

Die einzelnen Beiträge erzeugen wiederum ein solches Räderwerk vor dem Leser, wie es sich vor Chaplin gewaltig aufgetürmt hat. Sprachlich mitunter minimalistisch verknappt, divergieren die Positionen und brechen teilweise in sich selbst auf. Der kurze Text von Christiane ten Hoevel ist nicht mehr in Bilder rückführbar und handelt dennoch von konkreten Körperbeschreibungen. Auch die Spekulationen über den Arbeitsraum, die Rainer Görß sich bildet, handeln »von der Unmöglichkeit, sich ein Bild zu machen oder zu erwerben«. An anderer Stelle weist er auf eine denkbare Konstruktion hin, in der Bildlandschaften, die wir in Gedanken zu speichern gewöhnt sind, auf diese Weise geistig transformiert, in Natur zurückfallen. Ein Fabrikraum kann in seiner Künstlichkeit vor unseren Augen nur noch durch die Erinnerung als solcher sichtbar gemacht werden, weil Büroräume seine Existenz in unserem Bewußtsein überlagert haben. Mit der Entwicklung der Künste ist es ähnlich. Ein Bild C.D. Friedrichs ist gleichzeitig so real und weltfremd wie der Produktionsraum für Pumpen. All das lösen weder Text noch Alltag. Sie machen es nur sichtbar. Harald Fricke.

Zeitpumpe — A space without art noch bis 20. 1., fr.-so. 16 bis 19 Uhr, in der Pumpenfabrik Hermann Herholz, Linienstraße 185, Berlin-Mitte.

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