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„Das war ziemlich naiv“

Nachrichtenredakteure und ihre Zensur-Erfahrungen ein Jahr nach dem Golfkrieg  ■ Von Christian Füller

Heute vor einem Jahr war der zweite Golfkrieg ein paar Stunden alt und die Medien konnten gar nicht anders, als Falsches zu berichten. Die letzten Friedensappelle in den Zeitungen waren nicht mehr aktuell. Die Radio- und Fernsehsender verbreiteten, daß die irakische Armee quasi schon geschlagen wäre, vernichtet durch Luftangriffe von noch nie dagewesener Präzision. „Die ersten zwei, drei Tage dachte ich“, so Burkhard Müller-Schoenau über den Golfkrieg, „ihn vermitteln zu können.“ Das sei ziemlich naiv gewesen, meint der SFB-Nachrichtenredakteur. Schwarzkopf und die Amerikaner hätten die Medien an der Nase herumgeführt. „Auch wir sind der westlichen Sichtweise auf den Leim gegangen, daß es keine Opfer gebe, daß die Angriffe mit ,chirurgischer‘ Selektionsfähigkeit nur militärische Ziele träfen.“ Vor allem die Funkmedien seien zu Propagandainstrumenten der Militärs geworden.

„Die haben die Medien ja benutzt“, sagt der Nachrichtenchef Klaus-Dieter Seelig von RiasTV. Für ihn sei das keine Überraschung gewesen und für sein Ressort auch nicht. Die Glaubwürdigkeit von Quellen sei „das tägliche Geschäft“ bei der Nachrichtenproduktion. Es gebe fachliche, professionelle Regeln, Distanz zur Meldung herzustellen: den Konjunktiv, die wiederholte Nennung der Quelle und Formulierungen, die auf die Zensur direkt hinweisen. „Diese Regeln haben vor und nach dem Golfkrieg gegolten“, meint der 37jährige, für den der Krieg der erste als Nachrichtenchef war. Ob der Golfkrieg in dieser Hinsicht nicht eine andere Dimension gehabt habe? „Das kann ich nicht beurteilen“, meint Seelig.

Die Nachrichtenquelle schlechthin war CNN, der amerikanische Nachrichtensender, der den Krieg in die Wohnzimmer transportierte. Drei seiner Korrespondenten durften, mit ausdrücklicher Genehmigung Saddam Husseins, in Bagdad verbleiben. Sie berichteten dort live und unzensiert einen halben Tag über den Kriegsbeginn hinaus. Gemäß der Sender-Devise „berichten, berichten, berichten“ gaben sie alles weiter, was in Bagdad — für sie erreichbar — geschah und gesagt wurde. Saddam Hussein ließ Peter Arnett, Bernard Shaw und John Holliman seine „Offenen Briefe“ vorab ankündigen. Die entsprechenden Videobänder versahen die irakischen Informationsstellen alsbald mit englischen Untertiteln. CNN wurde zum zentralen Informationsmedium des Kriegs. Bisweilen führten Saddam und George Bush über den Sender eine Art Kommunikation und nannten sich gegenseitig Lügner.

„Wir konnten CNN benutzen“, sagt Klaus-Dieter Seelig, „wir hatten einen sehr guten Zugang dazu.“ Aber es sei sehr bald das Problem aufgetaucht, daß man „nicht alle Bilder“ hätte nehmen können. Also „haben wir versucht, CNN zurückzufahren“. Eine Methode, die auch andere anwendeten. „Wir haben nicht nur auf CNN zurückgegriffen“, berichtet André Bochow von DT64. Sie hätten „Sonderprogramme gefahren“, hätten einen Politikredakteur zum Moderator gemacht und hätten den Umfang der Berichte reduziert. „Das muß man einfach machen“, meint der 30jährige, „sonst wird man zum Erfüllungsgehilfen der Militärs.“ Mit Nachrichten werde ganz allgemein „ein perverses Spiel getrieben“. Ein paar große Sender würden das Spiel beherrschen und bestimmte Regionen fielen dabei unter den Tisch, sagt Bochow. Unterdessen würden im Inland „Banalitäten dauernd am Kochen gehalten“.

Die deutschen Medien, bemängelt sein Radiokollege Ben Bradshaw von BBC, seien sehr spät in die Berichterstattung über den sich abzeichnenden Konflikt am Golf eingestiegen. Während in anderen Ländern schon ausführlich berichtet worden sei, wären die Deutschen nach Ansicht von Bradshaw noch „mit jeder Einzelheit der Einigung beschäftigt“ gewesen. Zweieinhalb Jahre war Bradshaw Korrespondent der BBC in Berlin, „und ich bin froh, daß ich nicht im Golf gewesen bin“. Es sei schwierig gewesen, aus den dort gebildeten „Pools“ zu berichten; die Journalisten hätten nur die „Lügen der Verteidigungsminister weitergeben können“.

Authentische Berichte im Stile eines William Howard Russel, dem ersten „Frontreporter“, der seinen englischen Landsleuten als Augenzeuge mitteilen konnte, wie grausam der Krim-Krieg Mitte des letzten Jahrhunderts geführt wurde, waren im Golfkrieg nicht möglich. Die Militärs faßten in den „Pools“ ausgewählte Journalisten zusammen, um sie mit „Informationen“ zu versorgen. In Vorschriften des Pentagon wurde penibel festgehalten, welche Inhalte berichtet werden durften, und wie dies vor sich zu gehen hatte. „Der offizielle Begleiter“, hieß es darin etwa, „wird die Berichte aus dem Pool prüfen.“ Im übrigen dürften Korrespondenten „keine persönliche Waffe mit sich führen“. Nahezu alle Informationen aus den vorderen Gebieten kamen aus solchen Pools. Die beteiligten Journalisten hatten ihre Kollegen zu informieren. Wer es auf eigene Faust versuchte, riskierte sein Leben. „Man muß versuchen, es von Leuten herauszukriegen, die es besser wissen.“ Nur so könne man die Lügen und Unwahrheiten entblößen, meint der Engländer Ben Bradshaw.

Ein teures Unterfangen, wie Martina Doering von der 'Berliner Zeitung‘ sagt. Was sie nicht durch Kommentare hätten auffangen können, so die 37jährige aus der Auslandsredaktion, hätten sie mit Erstveröffentlichungen des 'Independent‘-Korrespondenten Robert Fisk erreichen wollen. Der kritisiert indes die dahinterstehende Philosophie. Die Verleger wollten Reporter hinter den feindlichen Linien, ohne für diese verantwortlich zu sein, sagte Fisk laut der englischen Wochenzeitschrift 'New Statesman Society‘.

Nach Ansicht von Martina Doering wurden die Printmedien ohnehin in den Hintergrund gedrängt. „Das wird immer mehr zum Problem“, sagt sie. „Worüber man jetzt nachdenken müßte ist, daß die Medien den Golfkrieg nicht aufgearbeitet haben“, meint die Diplom-Arabistin. „Es gibt noch viel zu wenig Reportagen aus dem Irak.“ Nur darin könne man veranschaulichen, wie es in den Dörfern und Städten aussieht und wie es den Menschen im Irak geht. Ein 'Independent‘-Reporter sagte, die Abwesenheit der Reporter habe den Krieg „dehumanised“, seiner Menschen beraubt.

Welche Konsequenzen zogen die JournalistInnen aus ihren Erfahrungen in der Berichterstattung über den Krieg? „Ich bin noch mißtrauischer geworden“, sagt André Bochow von DT64. Sein SFB-Kollege Müller- Schoenau sieht sich „hilflos“, und Klaus-Dieter Seelig, der Mann vom Fernsehen, will die „professionellen Methoden“ noch „stärker und bewußter“ einsetzen. „Mehr zweifeln, andere Quellen, dem Zuschauer deutlich machen: Das ist eine Quelle.“ Am entschlossensten war Martina Doering. „Ich bin hingefahren, weil ich sehen wollte, was da rausgekommen ist.“ Zwei Wochen habe sie gebraucht bis Amman, wo sie — nach früheren Erfahrungen — an ein Visa herangekommen wäre. Als sie in Amman ankam, war der Krieg zu Ende, und „Saddam hat alle Ausländer rausgeschmissen“.

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