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Abschaffung des Rechtsstaates?

■ Der SPD-Widerstand gegen den Regierungsentwurf zum Asylrecht schmilzt dahin

Abschaffung des Rechtsstaates? Der SPD-Widerstand gegen den Regierungsentwurf zum Asylrecht schmilzt dahin

Es ist keine Drohung, eher ein Flehen, das dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion am Mittwoch aus Hannover zugegangen ist. Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder bat in einem elfseitigen Schreiben den „Lieben Uli“ (Klose) dringend, doch in der Asyldebatte für ein Mindestmaß an Vernunft und die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensregeln zu sorgen.

Inzwischen scheint auch von drei Ländern, in denen die Grünen mitregieren, nur noch Niedersachsen jenen Gesetzentwurf strikt abzulehnen, mit dem das Bundesinnenministerium angeblich eine Beschleunigung der Asylverfahren plant. Daß dieser Entwurf diesem Ziel nur vorgeblich dient, muß jeder erkennen, der ihn auch nur einmal in die Hand genommen hat. In einer abstrusen Regelungswut verdoppelt das Papier von Rudolf Seiters glatt die Paragraphen des Asylverfahrensgesetzes, selbst die Ausgabe von Quittungen wird noch gesetzlich geregelt. Es bleibt aber bei der doppelten Anhörung der Flüchtlinge vor den Ausländerämtern und dem Zirndorfer Bundesamt, und die eigentliche Ursache für die auch für die Flüchtlinge unerträglich langen Verfahren wird überhaupt nicht behandelt: Diese Ursache trägt den Namen „Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge“, schiebt 250.000 unerledigte Verfahren vor sich her und hat als Dienstherrn Rudolf Seiters.

Die Neuregelung des Asylverfahrens, der leider wohl gestern auch die SPD-Bundestagsfraktion zugestimmt hat, wird die Konsequenz sein, die die Bundesrepublik aus einem Jahr der rechtsradikalen Anschläge, der Verfolgung und des Hasses ziehen wird. Wenn der Seiters-Entwurf Gesetz ist, wird diese Konsequenz für viele Flüchtlinge „Knast — Sammellager — Knast“ lauten. Dieser Entwurf gibt den Behörden nicht nur die kaum begrenzte Möglichkeit, die Schutzsuchenden vor dem Anerkennungsverfahren und hinterher zum Zwecke der Abschiebung ins Gefängnis zu stecken. Er will nicht nur den Sammellager-Sondereinzelrichter einführen, er verkürzt die Verfahrensfristen auch in einem Maße, die eine Akteneinsicht des Verteidigers vor der Formulierung des Schriftsatzes praktisch unmöglich machen. Und alles, was später nachgeschoben wird, darf nach dem neuen Gesetz ohnehin nicht mehr berücksichtigt werden.

Abschaffung des Rechtsstaates für Flüchtlinge — das ist die deutsche Konsequenz aus dem Pogromjahr 1991. Daß Niedersachsen sich da nun als letztes Bundesland noch wirklich querstellt, liegt im übrigen nicht allein an seinem rot-grünen Regierungsbündnis. Die niedersächsische SPD-Justizministerin Heidi Alm-Merk gehörte einst dem Bundesvorstand von amnesty international an. Der Ministerpräsident selbst, der jetzt umfangreich beim „lieben Uli“ Klage führt, ist immerhin im Brotberuf Rechtsanwalt. Doch von Niedersachsen abgesehen, weigert sich die Sozialdemokratie nicht mehr, auf den Rassismus von unten mit diskriminierenden gesetzlichen Regelungen von oben zu antworten. Jürgen Voges

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