: Big Mac ließ Boris jammern
■ Vorjahressieger Boris Becker scheiterte sensationell in der 3. Runde der Australian Open am US-Amerikaner John McEnroe/ Aufschlagriese Markus Zoecke war zu unbeweglich gegen Ivan Lendl
Berlin/Melbourne (taz) — Geträumt hat er sicher davon, geredet auch ein wenig, aber geglaubt hat John McEnroe gewiß nicht daran, daß er auf seine alten Tage noch einmal gegen Boris Becker gewinnen würde. Zu chancenlos war er in den letzten Aufeinandertreffen der beiden gewesen. „Keines unserer letzten Matches war in irgendeiner Weise eng“, sagte der 33jährige Amerikaner vor dem Drittrundenspiel der Australian Open gegen den neun jahre jüngeren Weltranglistendritten. „Ich habe wohl nur eine Chance, wenn ich von allem das Gegenteil mache, wie bei den letzten Malen.“
Das klappte unerwartet vorzüglich. Den ersten Satz gewann „Big Mac“, der schnörkellos, konzentriert und ungewöhnlich ruhig agierte, mit 6:4, und auch im zweiten führte der New Yorker mit 4:1. Da jedoch schien ein unscheinbarer Ballwechsel die von allen erwartete Wende zu bringen. McEnroe ließ den Ball, im Glauben, er ginge ins Aus, am Netz passieren, obwohl er ihn leicht hätte verwandeln können, doch die Filzkugel tupfte auf die Linie. Im selben Augenblick wich die Weinerlichkeit in Beckers Miene grimmiger Entschlossenheit, sein Blick wurde fest und stählern, während McEnroe plötzlich Verzweiflung im Gesicht geschrieben stand.
Der Deutsche kam auf 3:4 heran, aber ein umstrittener Punkt beendete Beckers Aufschwung. Nach kurzem Zögern gab die Linienrichterin den von ihm geschlagenen Ball aus, und für den Rest des Satzes war Becker damit beschäftigt, auf Schiedsrichter Kaufmann einzuteufeln. Vier Satzbälle konnte er noch abwehren, wobei er zwischendurch Zeit genug fand, lautstark und aggressiv Herrn Kaufmann auf seinem Hochsitz zu schmähen, dann aber hieß es doch 6:3 für Mac.
Der überließ das Jammern und Reklamieren auch weiterhin seinem Kontrahenten und war im Laufe des dritten Satzes dem Break des öfteren gefährlich nah. Doch der Leimener Musterbürger entkam immer wieder knapp. Erst beim Stande von 5:5 war endgültig Feierabend. Gute Returns von McEnroe und einige Unkonzentriertheiten Beckers führten zum entscheidenden Break, wenig später verwandelte John McEnroe den ersten Matchball zum 7:5.
So richtig fassen konnte er seinen Triumph selber noch nicht. Glücklich reckte er nach Entgegennahme von Beckers höflich-distanzierter Gratulation die Arme in die Höhe, hielt kurz inne, als suche er nach irgendeiner großen, dem epochalen Ereignis angemessenen Geste, winkte dann beidhändig ab und setzte sich einfach hin. Becker hingegen verabschiedete sich mit einem sparsamen Winken von der Arena im Flinders Park, der Stätte seines zweitgrößten Triumphes nach Wimbledon, wo er im letzten Jahr gleichzeitig Australian-Open-Sieger und Nummer eins geworden war.
Auf verlorenem Posten stand auch der Berliner Markus Zoecke gegen den Weltranglisten-Vierten Ivan Lendl. Der 1,96 Meter große Zoecke, vom Schiedsrichter liebevoll „Sögg“ genannt, bolzte zwar wieder, was der Profi-Schläger hergab, doch Ivan, mit flatternder Legionärsmütze enorm an Elefant Dumbo erinnernd, ließ sich von den Geschossen des Berliners ebensowenig beeindrucken wie von dessen furchterregendem Piratenkopfschmuck. Die Breitseiten, die Kanonenaufschläger Markus auf Lendl abfeuerte, konterte der mit trockenen Returns. Und leider zeigte sich Pirat Sögg auch nicht gut genug zu Fuß, um Landratte Lendl auf festem Grund zu bezwingen. Jeweils ein Break reichte dem Tschechoslowaken, um mit 6:4, 6:4 in Führung zu gehen. Im dritten Satz kenterte Käptn Sögg dann trotz zweier Satzbälle im Tiebreak endgültig. 6:7 im Dritten, aus der Traum.
Markus Zoecke kündigte nach dem Match an, seine Beweglichkeit mit ausgedehntem Seilhüpfen zu verbessern, während Lendl die Befürchtung äußerte, daß immer mehr zoecke-artige Aufschlagriesen im Tenniszirkus auftauchen: „Im Basketball hat sich gezeigt, daß man über zwei Meter groß und trotzdem beweglich sein kann. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Sportler zum Tennis kommen.“ Angst hat er jedoch nicht vor der neuen Generation der Hünen: „Er steht ja auf der anderen Seite des Netzes, und beim Seitenwechsel lasse ich ihm einfach den Vortritt.“ Matti Lieske/Mario Vigl
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