: Ost-Bauern kommen langsam, aber gewaltig
■ Noch kämpft die Ost-Landwirtschaft ums Überleben — doch in einigen Jahren könnten die aus den ehemaligen LPGs entstandenen Großbetriebe für den Weltmarkt produzieren/ West-Bauern fürchten, unter den Druck der Konkurrenz aus Ostdeutschland zu geraten
Amerikanische Verhältnisse nördlich von Berlin: Die Ländereien der Rhinland-Agrargesellschaft Kremmen erstrecken sich bis zum Horizont, soweit das Auge reicht. Während manch ein Bauernhof in Niedersachsen sich mit 30 Rindviechern zufriedengeben muß, gehen die Dimensionen auf den ehemaligen LPG- Flächen in's Gigantische: 1.250 Milchkühe werden in Kremmen täglich gemolken. Fast zehn Millionen Liter liefert der industriell wirtschaftende Betrieb pro Jahr bei der Meiereizentrale in Berlin ab.
Drei ehemalige LPGs schließen sich zusammen
Wer angenommen hat, daß die ehemaligen LPGs der Ex-DDR inzwischen in kleinere Einheiten zerlegt wurden, wird in Kremmen eines besseren belehrt. Hier haben sich drei von ihnen zur privaten Agrargesellschaft Kremmen zusammengeschlossen. Geschäftsführer Rudi Bienek, einstmals Leiter der Pflanzenproduktion in Kremmen, beziffert die Zahl der Rinder auf knapp 3.000, dazu kommen 1.000 Schweine. 1.000 Hektar Getreide baut der Betrieb an und 300 Hektar Raps. Wenn die Großfarmen wie diese ihre gegenwärtigen Schwierigkeiten in einigen Jahren überwunden haben, sollen sie nach den Plänen des Bonner Landwirtschaftsministeriums auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sein.
Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) sind inzwischen per Gesetz aufgelöst. Was früher dem Staat gehörte, ist heute im Privatbesitz der 72 Gesellschafter der Rhinland-GmbH. Jeder von ihnen — bis auf wenige sind alle ehemalige LPG-Arbeiter — zahlte als Anteil 1.500 Mark in die neue Gesellschaft ein.
Rudi Bienek: „Anfangs ging der Trend dazu, private Familienbetriebe zu gründen. Aber dann hat sich kaum jemand an die Selbständigkeit herangetraut.“ So haben bisher ganze sechs Landwirte ihre Flächen, die sie 1960 in die LPG einbringen mußten, aus der Rhinland-GmbH wieder herausgelöst. Ihr damals eingebrachtes Inventar hat ihnen die neue Gesellschaft in Form von Vieh und Maschinen zurückerstattet.
Die Zahl der Menschen jedoch, die in Kremmen und seinen Nachbardörfern noch von der Landwirtschaft leben können, ist in den zwei Jahren seit der Auflösung der DDR drastisch gesunken. Auf den 4.500 Hektar der Rhinland-GmbH arbeiten heute 150 Beschäftigte. In den drei nun zusammengelegten Ex-LPGs waren es früher insgesamt 650. „Die meisten sind mit 55 Jahren in den Vorruhestand gegangen“, so Bienek.
Vor allem Frauen von Entlassungen betroffen
„Tragisch ist es für viele Frauen, die wir früher als Handarbeiterinnen beschäftigt haben. Die sind arbeitslos.“ Andere Arbeitsplätze sind nicht in Sicht. Michael Kinne, SPD-Bürgermeister von Kremmen, bestätigt das: Fünf ehemalige LPG-Arbeiter haben im Ort eine ABM-Stelle bekommen. Sie betreiben Dorfverschönerung. „Grünflächenpflege, Bürgersteige instandsetzen, Löcher in den Straßen ausflicken“, so Kinne. Zwanzig weitere ABM-Anträge haben die Behörden abgelehnt.
Zu DDR-Zeiten arbeiteten rund 840.000 Menschen in der Ost-Landwirtschaft. Heute sind es noch 250.000 bis 300.000. Und die Tendenz geht weiter abwärts. Günter Flessner, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), forderte kurz vor der Grünen Woche, die Zahl noch weiter auf 100.000 zu drücken. Nur so sei die ostdeutsche Landwirtschaft auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig, wenn im Rahmen der Gatt-Verhandlungen die Subventionen für landwirtschaftliche Produkte gekürzt würden. Das Credo des DLG-Präsidenten: Senkung der Preise für Milch, Fleisch und Getreide durch Senkung der Löhne und mehr Einsatz von Technik.
Diese von der DLG propagierte Radikalkur im Osten hält selbst der Deutsche Bauernverband für eine „Illusion“. Jürgen Heym vom Bauernverband in Berlin: „Es wird sich bei 200.000 Beschäftigten einpendeln.“ Aber auch damit wäre die Landwirtschaft in den fünf neuen Bundesländern den Bauern in Westdeutschland bei der Rationalisierung um Längen voraus. Während heute im Osten nur drei Bauern pro 100 Hektar arbeiten, sind es im Westen immer noch sechs Beschäftigte.
Die Bauern-Opposition „Arbeitsgemeinschaft Bäuerlicher Landwirtschaft“ (ABL) will sich damit nicht abfinden. Sie kämpft für den Erhalt des bäuerlichen Familienbetriebes und gegen die Agrarfabriken. Mit Blick nach Osten sagt ABL-Geschäftsführer Georg Janßen: „Die wollen ganz andere Strukturen in der Landwirtschaft. Da werden neue Vorbilder geschaffen.“ Wenn die Entwicklung im Osten so weitergehe, sei es mit den kleinen und mittleren Bauern auch in den westlichen Bundesländern bald vorbei. Oft ist unter kritischen Landwirten die Befürchtung zu hören, daß die riesigen Ostbetriebe in einigen Jahren Druck auf die kleinere West-Konkurrenz ausüben könnten. Irgendwann wird im Osten billiger produziert werden als im Westen.
Die Befürchtungen sind nicht unbegründet. Im Bonner Landwirtschaftsministerium ist allenthalben von „Strukturimpulsen“ die Rede, die aus den neuen in die alten Länder ausstrahlen sollen. Und Bauernverbands-Vertreter Jürgen Heym schätzt, daß die sinnvolle Größe der östlichen GmbHs um die 2.000 Hektar liege, die der Familienbetriebe bei 200 bis 300 Hektar. Die durchschnittliche Größe der Höfe in den westlichen Bundesländern dagegen beträgt ganze 18 Hektar.
Startkapital reicht nicht aus
Nur 10.000 Familienbetriebe gibt es zur Zeit in Ostdeutschland. In der Behördensprache werden sie „Wiedereinrichter“ genannt. Einer von ihnen ist Jochen Dettmer im Kreis Haldensleben. Kürzlich hat er den Hof wiedereröffnet, den seine Eltern 1956 verlassen haben.
Als Eigentümer eines Familienbetriebes fühlt Dettmer sich von Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle benachteiligt: „Es müßte mehr Geld für die Starthilfe zur Verfügung stehen.“ Er rechnet vor, daß ein Betrieb seiner Größe 1,5 Millionen Mark als Startkapital braucht. An günstigen Krediten und öffentlicher Unterstützung würden aber nur 600.000 bis 700.000 Mark pro Betrieb zur Verfügung gestellt.
Noch steht die Landwirtschaft in den fünf neuen Ländern auf wackligen Beinen. Alle kämpfen ums Überleben, die kleinen wie die großen Betriebe. Und alle klagen über dieselben Probleme, vor allem über den Mangel an Kapital. Wichtige Investitionen sind unmöglich. Jochen Dettmer kennt zwei Übel, die der Ost- Landwirtschaft drohen: Das kleinere von beiden ist die Herrschaft der industriellen Landwirtschaft. Das größere: weite Landstriche könnten brachfallen, weil die Betriebe nicht durchhalten und zusammenbrechen. Da ist Dettmer mit dem Bauernverband einer Meinung: Auch dort kursiert die Befürchtung, daß es im ländlichen Osten zu einer sozialen Katastrophe kommt und 80Prozent der Betriebe das Jahr 1992 nicht überleben könnten. Hannes Koch, Berlin
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