: »Ein Lehrhaus der Demokratie«
■ Der furchtbare Ort der »Wannsee-Konferenz« wird endlich zur Erinnerungs- und Lernstätte/ Ein neues pädagogisches Konzept zeigt die Beteiligung vieler Berufsgruppen bei der »Endlösung der Judenfrage«
Berlin. Der Ort, an dem vor fünfzig Jahren nationalsozialistische Würdenträger die administrativen Maßnahmen für den Massenmord erörterten, trägt heute äußerlich alle Anzeichen »der Gediegenheit und des bürgerlichen Friedens«.
Heinz Galinski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, sagte dies gestern zur Eröffnung der ersten Gedenkstätte in Deutschland, die den Völkermord an den europäischen Juden dokumentiert. Jetzt soll dieses Haus am Großen Wannsee 56/58 ein Haus des Erinnerns und des Lernens werden, ein Haus, in dem die Basis »dafür geschaffen werden (kann), daß Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden« können. »Es geht nicht darum, noch eine Gedenkstätte zu schaffen«, sagte Galinski, denn »es gibt genug Gedenkstätten und Gedenktage, auch wenn es immer noch viel zu wenig aufrichtiges Gedenken gibt«. Wichtig sei es, sagte er, »hier einen Rahmen für die aktive Vorbeugung herzustellen. Nicht nur junge Menschen aus den alten und den neuen Bundesländern, sondern Jugend aus der ganzen Welt sollte hier Gelegenheit bekommen, in lebendiger Begegnung miteinander aus den Fehlern der Geschichte zu lernen und darüber zu diskutieren, wie man heute eine andere Welt gestaltet.«
Zur Geschichte des Hauses und Konzeption der Lernstätte übernehmen wir einen (gekürzten) Beitrag von Gerhard Schoenberner, erschienen in der 'Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung‘ vom 16. Januar.
Das 1914/1915 erbaute großbürgerliche Privathaus mit 1.500 Quadratmetern Wohnfläche und einem 30.000 Quadratmeter großen Park, direkt gegenüber dem Strandbad Wannsee, stammt von dem Architekten Baumann, der unter anderem auch die Villa des Malers Max Liebermann erbaute. 1921 kam das Haus in den Besitz des Industriellen Friedrich Minoux, der hier Erich Ludendorff und andere Gegner der Weimarer Republik zu Gesprächen empfing und 1923 selbst als Mitglied eines diktatorischen Direktoriums vorgesehen war, das die demokratische Reichsregierung ablösen sollte. Im Jahr 1940 verkaufte Minoux das Haus an die SS-Stiftung Nordhav, die von Reinhard Heydrich, dem Chef der SIPO und des SD, gegründet worden war, um Ferienheime für den Sicherheitsdienst der SS zu schaffen. Ab 1941 diente die Villa als Gästehaus für auswärtige SS- und Polizeioffiziere, ab 1943 wurde es als »Kameradschafts- und Führerheim der Sicherheitspolizei« weitergeführt.
Bei Kriegsende diente das Haus am Wannsee als Lazarett. Später war es zuerst von sowjetischen Marinesoldaten, dann von amerikanischen Offizieren belegt. 1947 richtete das August-Bebel-Institut der Berliner SPD hier eine Stätte der politischen Bildung ein, konnte sie aber aus finaziellen Gründen auf Dauer nicht halten. Seither diente das Haus als Schullandheim des Berliner Arbeiterbezirks Neukölln.
Es ist dem Historiker Joseph Wulf, selbst ein Überlebender von Auschwitz, zu danken, daß die Villa der Vergessenheit entrissen wurde. Er, der sich mit zwei großen Dokumentationen über NS-Verbrecher einen Namen machte, schlug 1965 vor, hier ein »Internationales Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen« einzurichten. Der Verein, den er mit Gleichgesinnten gründete, fand rasch prominente Unterstützung. Der Philosoph Karl Jaspers übernahm den Ehrenvorsitz des Kuratoriums. Nahum Goldmann, der damalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses, bot eine Spende von fünf Millionen US-Dollar als Startsumme für den Aufbau des Instituts unter der Voraussetzung an, daß die Stadt Berlin das Haus zur Verfügung stelle.
Aber am Ende scheiterten alle Gespräche. 1972 löste sich der Verein auf, 1974 nahm Jospeh Wulf sich das Leben. Was auch an äußeren Gründen für das Fiasko des Plans angeführt werden kann. Fest steht, die Zeit war nicht reif, das politische Klima des kalten Krieges dem Vorhaben nicht günstig, die nötige Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit noch nicht vorhanden. Erst zwei Jahrzehnte später, im Zusammenhang mit der Debatte um die Zukunft des Gestapogeländes am sogenannten Prinz-Albrecht-Palais, kam die Wannseevilla erneut ins Gespräch. Diesmal ergriff der Berliner Senat die Initiative und beschloß die Einrichtung einer Gedenkstätte am Ort.
Verantwortlich für die Gedenkstätte ist der Trägerverein »Erinnern für die Zukunft«, dem außer dem Bund und dem Land Berlin, die sich die Kosten teilen, unter anderem der Zentralrat der Juden in Deutschland, die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Vertreter der beiden christlichen Kirchen angehören. Ein internationaler Beirat wird die Arbeit des Hauses begleiten.
Seine künftigen Funktionen sind ablesbar an den drei Abteilungen, die in ihm Platz finden. Eine ständige Ausstellung im Erdgeschoß dokumentiert nicht nur die Konferenz am 20. Januar 1941, sondern auch die Vorgeschichte, die zu ihr führte, wie die Ereignisse, die ihr folgten. Dargestellt werden die Grundinformationen über die Shoa, der Prozeß der Entrechtung und Ausgrenzung, der Verfolgung und Ermordung der Juden. Diese Ausstellung wird ergänzt durch eine im Aufbau befindliche Mediothek, die eine Präsenzbibliothek, Dokumentensammlungen sowie ein Foto-, Film- und Tonarchiv einschließt. Einzelbesucher und Gruppen, die sich ein Thema erarbeiten wollen, finden hier fachliche Beratung. Die eigentliche Aktivität des Hauses wird von der pädagogischen Abteilung ausgehen, die sich mit einem differenzierten Angebot an Multiplikatoren wie Lehrer und Ausbilder, aber auch an Berufstätige, Studenten, Schüler und Jugendliche wendet.
Als Ansatz neu ist der Versuch, Lernenden und Berufstätigen zu zeigen, wie auch ihre Berufsgruppe damals arbeitsteilig an der Durchführung der »Endlösung« mitgewirkt hat. Das gilt für Juristen und Ärzte, Verwaltungsbeamte und Polizisten, Soldaten, Eisenbahner und viele andere mehr. Dabei geht es nicht darum, einer neuen Generation eine Schuld einzureden, sondern sie darüber aufzuklären, was geschah und warum es geschehen konnte. Es ist eine historische Lektion, die gelernt sein muß. Das Haus der Wannseekonferenz soll sein, was Heinz Galinski ihm als Aufgabe gesetzt hat: Ein Lehrhaus der Demokratie.
Der Autor, Gerhard Schoenberner, ist Leiter der neuen Gedenkstätte »Haus der Wannseekonferenz«. Er machte sich mit vielen zeitgeschichtlichen Büchern, Ausstellungen und Filmen einen Namen, vor allem 1960 mit der Dokumentation »Der gelbe Stern — Die Judenverfolgung in Europa 1933-1945«.
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