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Der wilde Mac auf Jimmys Spuren

In bester Jimmy-Connors-Manier gewann John McEnroe ein dramatisches Fünfsatz-Match gegen Emilio Sanchez/ Anke Huber kämpfte sich gegen Jana Novotna ins Viertelfinale  ■ Aus Melbourne Mario Vigl

John McEnroe sorgt bei den Australian Open weiter kräftig für Stoff fürs Tennis-Geschichtsbuch. Nachdem er am Freitag den erstaunten Boris Becker durch seinen Dreisatz-Sieg auf Weltranglistenplatz sieben verbannte, schlug Big Mac gestern den Spanier Emilio Sanchez in einem wahnwitzigen Nervenkampf mit 7:5, 7:6 (7:4), 4:6, 2:6, und 8:6. Mit einem Sonnenkäppi recht notdürftig vor der knallenden Sonne geschützt, die den Centre Court auf 51,2 Grad Celsius hochkochte, gewann der ständig ans Netz rennende McEnroe die ersten beiden Sätze. Die zwei nächsten verlor er dann jedoch, sichtlich müder werdend, gegen Emilio, der nach allem rannte, was John ins Feld schoß.

Im fünften Durchgang konnte McEnroe einen 4:1-Vorsprung nicht halten: 4:4, und die Socken dampften. Aber bei 5:4 und Aufschlag Sanchez hatte er dann doch drei Matchbälle. Den ersten versiebte er, den zweiten rettete Emilio mit einem As, das keines war. McEnroe nach dem Spiel: „Ich war zu kaputt, um mich zu beschweren.“ Matchball Nummer drei wehrte Emilio Sanchez auch noch ab, um gleich darauf sogar ein Break zu schaffen. Der hurtige Spanier hatte nun seinerseits zwei Matchbälle bei eigenem Aufschlag, die er mit seinem allerersten Doppelfehler und einer völlig verhunzten Vorhand vergeigte. Einen dritten Matchball erspielte sich Emilio noch, vergab ihn aber ebenso kläglich mit einem Volley ins Netz.

Es kam, wie es kommen mußte: McEnroe schaffte das Break, gewann leicht sein nächstes Aufschlagspiel und sicherte sich gegen den servierenden Sanchez zwei weitere Matchbälle. Und siehe da, der zweite wurde tatsächlich verwandelt. Eine Vorhand die Linie entlang beendete nach vier Stunden und 41 Minuten das Match, und McEnroe schaffte es nicht mehr, sich auf seinen Stuhl zu setzen. Flömm, da lag er längs neben seiner Tennistasche, daß es einem angst und bange werden konnte. Erst einige Minuten später vermochte er sich in die Katakomben des Tenniszentrums zu schleppen.

Nach anderthalb Stunden Regeneration teilte der Auferstandene den Journalisten mit, daß er sich angesichts der Matchbälle von Sanchez „sehr gut gefühlt habe“. Das sorgte für erstaunte Blicke, war es doch etwa so nachvollziehbar wie Michael Stichs Beteuerungen, jetzt das erste Mal in der Weltrangliste vor Boris Becker zu stehen, bedeute ihm „absolut nichts“.

Stich, der mit einem 6:0, 2:6, 7:5, 6:2 gegen Martin Jaite (Argentinien) ins Achtelfinale einzog, hätte sich wirklich was Besseres einfallen lassen können, um in den Tagen nach dem Olympia-Doppel-Drama Schönwetter zu machen. Aber die „Ist-mir-doch-egal“-Stimmung scheint im Tennis immer weiter um sich zu greifen. Auch Boris Becker hatte nach der Niederlage gegen McEnroe verkündet, es interessiere ihn nicht, daß er auf Platz sieben abgefallen sei.

Bei so viel geballtem Fatalismus war man doch froh, in Anke Huber jemanden zu haben, der seiner Profession mit der rechten Einstellung nachgeht. Und sich so richtig freuen kann — zum Beispiel über die lautstarke Anfeuerung des deutschen Anhangs beim 5:7, 7:6 (7:5) und 6:4 gegen Jana Novotna, die Vorjahresfinalistin. Im zweiten Satz hatte die Tschechoslowakin schon zum Sieg serviert, doch von ihrem Fan Ossie aus Wuppertal stimmgewaltig nach vorn gepeitscht, konterte Anke Huber eiskalt mit einem Re-break und gewann danach auch den Tie-break.

Ossie sorgte zwar für leichte Zweifel an seiner völligen gedanklichen Durchdringung des weißen Sports, als er etwa 27mal bei Fehlern der Heidelbergerin ein gutgemeintes: „Weiter so, Anke“ in das weite Rund brüllte. Doch seine fußball-erprobte Stimme half der 17jährigen offensichtlich so, daß sogar noch Satz drei gewonnen wurde. Da war Ossie, von Beruf Kanalreiniger und ansonsten Schalke-Fan, wirklich sehr zufrieden mit Anke, „unserer letzten Hoffnung“. Überhaupt nicht allerdings mit dem Restpublikum im Stadion: „Also, ich bin das erstemal beim Tennis. Das ist ja wie im Grab hier.“

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