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Theater oder Thaeter?

■ Der Streit um den demokratischen Sozialismus in der Akademie der Künste

Theater oder Thaeter? Der Streit um den demokratischen Sozialismus in der Akademie der Künste

Brecht war es egal, ob seine epische Bühnenrevolution Theater oder Thaeter genannt wurde. Aber kann es den heutigen Sozialdemokraten ebenso egal sein, ob ihre programmatischen Anstrengungen unter dem Begriff des demokratischen Sozialismus laufen? Geht's um die Befreiung von einem lästigen Wort, oder droht mit der Abschaffung des Begriffs Identitätsverlust? Die Akademie der Künste hatte zur ehrwürdigen Einrichtung der „Großen Debatte“ gegriffen, um den nach Sinngebung hungernden Linken mit dem Diskussionsthema „Sozialismus — ein unvollendetes Projekt“ etwas zum Beißen zu geben. Aber nur ein elend abgenagter Knochen war zu besichtigen. Das Problem kann doch nicht lauten, ob es neben und außer dem bankrotten Realsozialismus stets auch andere, freiheitliche Konzeptionen des Sozialismus gegeben habe und noch gibt, worauf Günther Grass unermüdlich insistierte. Vielmehr, mit Marx zu sprechen, kömmt es darauf an, herauszufinden, ob sie tatsächlich zur Veränderung der Welt taugen. Wo es um handhabbare Theorien mittlerer Reichweite, um konkrete Projekte gegangen wäre, wurden nur die Ideale der Aufklärung beschworen. Wolfgang Thierse fand heraus, daß, während es doch ums weltweite Teilen ginge, sich seine Partei im Lager der Besitzstandswahrer tummelt. Ganz richtig schlug er vor, einen gesellschaftlichen Dialog in Gang zu setzen, innerhalb dessen Einvernehmen über die notwendigen Schritte der globalen Umverteilung erzielt werden soll. Aber wie ist das möglich, wenn das zugrunde liegende Paradigma, die immerwährende Weiterentwicklung der Produktivkräfte und damit des gesellschaftlichen Reichtums ins Schwanken geraten ist? Es geht nicht in erster Linie ums Verteilen, sondern um Produzieren, um dessen qualitative Seite. War der Sturz der Schmidt- Regierung nicht Ausdruck einer fundamentalen Krise des sozialdemokratischen Sozialstaats- Projekts? Ist diese Krise etwa behoben, weil der Realsozialismus zusammengebrochen ist? Müßte jede sozialdemokratische Programmarbeit sich nicht an der Bearbeitung dieser Krise festmachen, egal ob das, was schließlich herauskommt, Sozialismus oder Saziolismus heißt? Christian Semler

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