: »Die haben ja schließlich unter Eid gestanden«
■ Umfrage zum Urteil im Mauerschützenprozeß/ Überwiegend Verständnis für die Situation der Ex-DDR-Grenzsoldaten Bevor man »die Unteren verurteilt«, hätte man als erstes »Honecker und Mielke zur Rechenschaft ziehen müssen«
Gestern erging das Urteil im ersten Mauerschützenprozeß. Der ehemalige DDR-Grenzsoldat Ingo Heinrich ist zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, der Mitangeklagte Andreas Kühnpast zu zwei Jahren auf Bewährung. Die Ex- Grenzer Mike Schmidt und Peter Schmett wurden freigesprochen.
Die Vorsitzende der PDS-Fraktion, Gesine Lötzsch, hält dieses Urteil für skandalös. Der Vorsitzende Richter Seidel habe ein differenziertes Urteil konstruiert, das der Problematik nicht gerecht werde. Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der Grünen erklärte, daß das Kriminalgericht Moabit nicht der Ort der notwendigen gesellschaftlichen Aufarbeitung der Zeit des DDR-Regimes sei. Die taz befragte BerlinerInnen nach ihrer Meinung zu diesem Urteil.
Johanna Rudow, 69, Rentnerin, Kreuzberg
Das ist nicht schön. Denn die haben es ja nur ausgeführt und weiter gar nicht nachgedacht. Die armen Leute tun mir leid. Die, die den Befehl gegeben haben, sollten verurteilt werden.
Bernd Preibisch, 36, Elektroingenieur, Hohenschönhausen
Bevor man diejenigen verurteilt, die direkt an der Mauer waren und die unter dem angeblichen Schießbefehl gestanden haben, sollte man doch erst mal Honecker und Mielke zur Rechenschaft ziehen.
Freisprechen hätte man die Grenzsoldaten aber auch nicht dürfen, denn sie tragen eine gewisse Mitschuld. Die müssen sie auch auf sich nehmen und für sie büßen. Man hätte aber erst die Oberen, dann die Unteren zur Verantwortung ziehen sollen.
Kardinalbeispiel gegen Befehlsgläubigkeit
Rainer Müller, 24, Student, Pankow
Ich finde, daß die zuwenig gekriegt haben. Wenn ich rübergeklettert wäre, hätten sie auf mich geschossen. Als Kardinalbeispiel für all die Leute, die später mal auf Leute schießen aufgrund irgendeines Befehls, wären die bei mir nicht unter fünf Jahren weggekommen.
Es müßte deutlich gemacht werden, daß der, der schießt, auch zur Verantwortung gezogen wird. Aber es müßten alle Beteiligten, auch die Befehlsgeber, vor den Richter.
Toll, daß er geschossen hat!
Kruta Swetala, 24, Krankenschwester, Berlin-Buch
Das Urteil ist nicht richtig, weil der Junge den Befehl hatte, zu schießen. Ich finde es toll, daß er das gemacht hat. Er hat seine Pflicht getan. Wenn eine Grenze da ist, muß sie gesichert werden.
Ich komme aus der Sowjetunion, und bei uns wird das auch sehr streng gehandhabt. Wenn ich versuchen würde zu fliehen, wäre mir klar, was mich erwarten würde. Durch diese Verurteilung wird gewollt, daß die Leute gegen die Großen aggressiver werden.
Anja Dohmeyer, 21, Gärtnerin, Bremen
Ich finde das Urteil gerechtfertigt und gut. Man kann nicht sagen, nur weil die Leute einen Befehl ausgeführt haben, hätten sie nicht nachdenken können. Jeder handelt für sich selber verantwortlich. Allerdings muß noch etwas getan werden in bezug auf die, die dahinter gestanden haben.
Klaus Bergmann, 52, KFZ-Schlosser, Mahrzahn
Das ist totaler Quatsch. Die Verantwortlichen sind nicht zur Verantwortung gezogen worden. Die, die geschossen haben, die haben es abgekriegt, und die haben ja schließlich unter Eid gestanden.
Ich war auch in der Armee. Wir hätten das gleiche getan. Die Großen sind natürlich wie immer davongekommen. sos
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