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Vor fünf Minuten hat der Krieg begonnen

■ Als der Golfkrieg begann, war der Schauspieler Armin Mueller-Stahl in New York, anläßlich der Dreharbeiten zu Jim Jarmuschs „Night on Earth“. „The war just started“, sagte der Fahrstuhlführer an diesem Abend zu ihm. Über sein, wie er selbst sagt, „lächerliches Gefühl der Ohnmacht“ dabei hat sich Mueller-Stahl spontane Notizen gemacht. Kein Essay über den Krieg, sondern eine Momentaufnahme

„Sie haben es nicht gelernt, nicht gelernt, sich vor dem Kriege zu versöhnen. Erst danach, wenn sie sich die Köpfe abgeschlagen haben, fallen sie sich kopflos in den Arm“, sagt der Mann am Nebentisch zu drei anderen Männern, die sich entschlossen haben, nichts zu sagen. Ich zeichne sinnlose Strichmännchen auf den Rand der 'New York Times‘ und habe mir eine rote Knolle auf die Nase geschoben, im Film spiele ich einen Clown. Mittlerweile ist mir mein Ansehen so egal, daß es mir nichts ausmacht, für einen Trottel gehalten zu werden.

Die Leute lachen mich an, wegen der Knollennase, ich lache nicht zurück. Sie halten mich wohl für einen Schwachkopf, der ich auch bin. Begreife die Welt nicht: Vor fünf Minuten hat der Krieg begonnen.

Der Mann am Nebentisch trinkt Whiskey, wischt sich mit dem Handrücken über die wülstigen Lippen, „vor fünf Minuten hat der Krieg begonnen“, sagt er. „Im CNN kannst du den Krieg sehen, den ganzen Tag, die ganze Nacht, auf Kanal16 Liebesfilme, auf Kanal9 Arsino Hall, auf Kanal2 Johnny Carson, auf Kanal4 Football, immer dabei, überall dabei. Und morgen wird es heißen, ich habe mir Football angesehen, ich Carson, ich Krieg, nein, Krieg hab ich gestern gesehen, kommen Sie da weiter?“ Der Mann nimmt einen kräftigen Schluck. Er schüttelt sich. „Erst wenn ihnen die Welt abgebrannt ist, werden sie Ruhe geben. Mit Kuwait und Hussein alleine ist nichts gelöst, der nächste und übernächste Hussein mit der Atombombe im Arm ist längst geboren. Atomsicher. Hundert Meter unter der Erde. Die Monster Staatsoberhäupter, ach was, Monster ist die ganze Menschheit, wir alle, jeder einzelne“, sagt der Mann und kippt Whiskey nach. Pause.

Ich denke über meine Rolle nach. Spiele einen Clown, der zum erstenmal in New York Taxi fährt. „Und Bush“, sagt der Mann, „haben wir verhindert, daß er unsere Soldaten an den Golf schickt, oder wenigstens erreicht, daß er sie besoffen in den Krieg schickt? Wir hätten seine Barbara kidnappen und nach Bagdad verfrachten sollen, dann wäre Ruhe. Nichts, nicht mal das haben wir getan.“ In den Mundwinkeln des Mannes hat sich Speichel angesammelt, wie Fäden. „Und hätten wir noch den sabbernden Breschnew, wär' auch Ruhe.“ Mit einem Schluck leert der Mann das Glas. „Perestroika, Glasnost: Quatsch!“ Ein Pfeifen kommt über seine Lippen. Und ich gehe meinen Text durch. Manchmal bin ich so unversöhnt, da hätte ich mir am liebsten die Menschen abgewöhnt.

In diesem Moment werde ich zum Drehen abgeholt, und in diesem Augenblick sieht mich der Mann an. „Was sagen Sie dazu, Herr Schauspieler? Bevor die Welt abgebrannt ist, wird doch nicht versöhnt, oder?“ Dann ruft er mir hinterher: „Staatsoberhäupter sollte man unter süchtigen Zuhältern, Preisboxern und versoffenen Schauspielern suchen. Die sollten sich statt der Völker in die Weichteile treten, das wäre Entertainment. Und überhaupt, die ganze Menschheit kann mich mal, Herr Schauspieler.“

Beim Einsteigen bemerke ich, daß ich die rote Knolle noch immer auf der Nase habe. Hatte sie einfach vergessen...

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