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Enzensbergers Gedanken

Calderons „Tochter der Luft“ in Essen: Enzensberger entschlackt, Heyme donnert auf, und Gudrun Landgrebe ist nur schön  ■ Von Christof Boy

Sieben schwarze Raben hocken auf dem Seilzug für die Vorhänge. Sie bringen nur Unglück. Zuerst dem Volk von Ninive und Babylon, gestraft mit der tyrannischen Königin Semiramis, dann auch der Despotin selbst, die auf der Höhe der Macht von ihren Feinden vernichtend geschlagen wird und auf dem Schlachtfeld verblutet. Sieben schwarze Raben, ein böses Omen. Das Publikum im Essener Grillotheater bemerkt sie spät — erst, als der Leichnam von Semiramis in Flammen aufgeht. Da steigt weißlicher Rauch auf. Plötzlich zeichnen sich die schwarzen Vögel deutlich vor dem dunklen Hintergrund der Bühne ab. Die Zuschauer lachen, zum ersten Mal an diesem Abend. Hansgünther Heyme beschwört den Aberglauben. So hat er zwar nicht das Glück, aber die Lacher auf seiner Seite.

Die Tochter der Luft heißt die Uraufführung, das läßt sich genau sagen. Mit dem Autor ist es schon schwieriger. Denn es gibt deren zwei. Ursprünglich hatte der Barockdichter Calderon de la Barca seine heidnische Heldin unter dem Eindruck der großen Entdeckungen geschaffen. Semiramis, eine starke machtlüsterne Frau, Ausdruck eines ungezügelten Expansionsdrangs. Hansgünther Heyme hatte die Kombination von katholischer Frauen- Verteufelung und kolonialistischer Geschichtsbewältigung in Calderons Texten schon immer gereizt. Doch hatte er nie den Übersetzer gefunden, der sich an das barocke Spanisch heranwagte, ohne sich von der ornamentalen Wucht der Sprache beeindrucken zu lassen. In Hans Magnus Enzensberger fand Hansgünther Heyme — ohne es vielleicht zu ahnen — den kongenialen Übersetzer. Denn ohne jeden Respekt glättete Enzensberger die überladene Fabulierkunst Calderons, warf ganze Abschnitte um, erfand Neues hinzu, hielt sich nur noch an das Geäst der Handlung und die auftretenden Figuren. Was mit dem Original noch zu tun hat, wird nur der nachprüfen können, der das Spanisch von Calderon versteht. Aber auch so ist die rhetorische Entschlackungskur deutlich hörbar. Vor allem der Enzensberger eigene, kluge Spott liest sich heraus, wenn er über den Antagonismus von Macht und Ohnmacht, von Volk und Herrscher philosophiert.

Einem Unschuldsengel gleich, betörend schön, jammert Semiramis über ihre Unbill. In der Höhle gefangen gehalten wird sie, weil sie nach einer Prophezeiung der Venus der Menschheit nur Unheil bringen wird. Der Feldherr Menon erlöst sie aus ihrem Martyrium, nicht ahnend, daß auch er bald bald ihrer Machtgier zum Opfer fallen wird. Auf dem Weg zur Alleinherrschaft umschmeichelt und entledigt sich Semiramis der Männer, die sie umgeben; einer nach dem anderen, wie es ihr gerade gefällt. Menon, ihr Retter, wird geblendet, Ninus, ihr Gatte, stirbt unter mysteriösen Umständen, Ninyas, ihr Sohn, als Thronfolger bestimmt, wird in die Verbannung geschickt und dort vor dem Volk versteckt. Nicht zu stoppen scheint ihr völkervernichtender Siegeszug zu sein, bis sich die Menschen erheben und die Inthronisierung des Sohnes verlangen. Semiramis gibt sich scheinbar geschlagen und tritt zurück. Doch spinnt sie eine neue Intrige, läßt den Sohn entführen und schlüpft in seine Rolle, so noch einmal an die Macht kommend, bis sie von den Revolten und Aufständen der unterjochten Völker endgültig hinweggefegt wird. Hansgünther Heyme hat wieder einmal den Prunk siegen lassen. Was Enzensberger in Calderons Ursprungstext an ausschmückendem Zierrat über Bord geworfen hat, um zu nüchternen Versen zu kommen, ist direkt auf der Bühne gelandet. Im Vorspiel, das von Semiramis Befreiung handelt, schreiten gepanzerte Ritter im Harnisch mit Hellebarden herein, gefolgt von verschleierten Frauen in prunkvollen Gewändern, die auf goldenen Gebetsbänken Platz nehmen oder sich im stummen Gebet vor einem mit Perlen und Gold besetzten Altar verneigen. Als Semiramis, kaum von Menon befreit, ihren Retter verrät und sich für die Macht entscheidet, rast ein violettes Feuerrad über die Bühne. Silbern zuckt ein Blitz, Donnergrollen. Die Menschen auf der Bühne bekreuzigen sich. Das Tableau ist perfekt. Heyme malt barocke Bilder und leiht sich den Pinsel bei Rembrandt und Bosch. Die Tochter der Luft erstickt — an schwerem Brokat.

Näher schon an der Leichtigkeit der Verse ist das Bühnenbild von Wolf Münzer im Haupttteil des Stückes. Große Stoffbahnen und farbige Vorhänge blähen sich im Wind. Eine Ahnung kommt auf, wie sich Enzensbergers Gedanken in einer schlichten Umgebung entfalten könnten. Doch alles währt nur einen winzigen Augenblick, dann siegt wieder das Kunstgewerbe: Springbrunnen mit echten Fontänen, Leuchtpfeile als Symbol für kriegerische Angriffe, Stichflammen und andere pyrotechnische Aufputschmittel für eingeschlafene Zuschauer. Hansgünther Heyme glaubt sich als Herr über die Windmaschinen und ist doch nur ein Luftikus.

In seinem Eifer, das Ränkespiel der Macht als solches zu entlarven, übersieht Heyme die vielen kleinen Seitenhiebe auf mögliche Arrangements mit den Mächtigen. Enzensberger hat nicht allein die Anatomie einer grausamen Despotie im Sinn gehabt. Viel boshafter sind seine Spitzen gegen den Hofstaat. Da sind vor allem Wendehälse versammelt, leicht wiederzuerkennende Figuren aus dem politischen Alltag dieser Republik. Lycas, erst ganz der treue Offizier seiner Königin, fällt um, sobald ihn die Nachricht erreicht, daß nun ihr Sohn regiert. Nicht wissend, daß er der verkleideten Semiramis gegenübersteht, schleimt sich Lycas voller Ergebenheit beim vermeintlich neuen Herrscher ein. Jede Figur findet so eine Entsprechung in der realen Außenwelt, ohne daß Enzensberger dabei in eine allzu platte Parade der Bezüge verfällt.

Heyme dagegen interessiert sich für derlei sanfte Ironie herzlich wenig. Ihm genügen die wirklich plakativen Stellen im Text, die er noch plakativer gestalten kann. Nach dem Sturz der Königin steht Babylon am Rande des Bürgerkrieges. „Wir sind das Volk“, ruft eine Stimme, dehnt dann die Kunstpause in die Länge und ergänzt endlich, „von Babylon.“ Im Parkett sitzt Hans Magnus Enzensberger und verfolgt die Premiere. Vielleicht ärgert er sich jetzt, daß er den Satz leichtfertig in seine Übersetzung eingebaut hat. Das Volk, verkörpert durch einen Schauspieler, erhebt die Faust: Montagsdemo in Essen. Semiramis, eine starke Frau des Altertums. Gudrun Landgrebe, eine schöne Frau der Moderne. Zusammen ergibt das noch kein Theater, aber immerhin einen prominenten Auftritt. Einig sei man sich gewesen in der Wahl der Hauptdarstellerin, hieß es zunächst. Jetzt übt sich Heyme in Zurückhaltung und erklärt, der Vorschlag sei von Enzensberger gekommen. Gudrun Landgrebe befindet sich in keiner angenehmen Lage. Mit aller Macht versucht sie sich vom Image ihrer Filmrolle als Flambierte Frau zu lösen, doch gerade diese Verkörperung der faszinierenden Femme fatale verlangt die Rolle von ihr — ein männerverschlingendes Weib, begehrenswert und verdorben zugleich. Gudrun Landgrebe ist schön, nicht grausam. Ihr Bemühen, mit erhobenen Armen und mondän wirkenden Gesten Weiblichkeit dezent anzudeuten, ohne dabei ihren Körper allzu sehr einzusetzen, führt zu bisweilen lächerlichen Verrenkungen — ein Mannequin als Königin. Dem Text gewinnt sie nicht viel mehr ab als die bloße Wiedergabe des Auswendiggelernten. Wie gelähmt vom Bann der ohnmächtigen Darstellung der Semiramis verharren auch die anderen Schauspieler in einer eigentümlichen Lethargie. Nur der Wächter Chato (Wolfgang Robert), der zuerst Semiramis' Kerker und später die Verliese der ungezählten Delinquenten bewacht, weiß seine Rolle als Hofnarr auszufüllen. Da er spotten muß, hat er ein offenes Herz für den Spott Enzensbergers.

Wahrscheinlich ist alles nur ein Mißverständnis. Ein theatralisches Schwergewicht, dem eine textgetreue Semiramis-Übersetzung für seine barocke Entfaltungssucht näher gelegen hätte, und ein leichtfüßiger Intellektueller, der sich nicht zum Hofdichter machen ließ, damit aber eine Inszenierung in Kauf nehmen muß, die seinem Text nicht einmal in Ansätzen gerecht wird. Der Dichter weiß, daß es die Kunst ohne das Leben nicht gibt. Er hatte wohl damit gerechnet, daß im Theater manchmal die Künstlichkeit zum Prinzip erhoben wird. Deshalb warnte er, das Kommende quasi vorausahnend, in einer Fußnote zur Tochter der Luft: „Don Giovanni in Harlem, Faust als Skinhead, die Atriden als Drogenmafia: Wer mit solchen Einfällen versucht, alte Stücke aufzumöbeln, beweist damit nur sein anspruchsloses Gemüt.“ Den Regisseur kümmert die Ansicht des Dichters nicht. Das ist das Drama dieses Abends.

Hans Magnus Enzensberger: Die Tochter der Luft. Grillotheater Essen, mit Gudrun Landgrebe, Giovanni Früh, Hans Schulze, Peter Kaghanovitch u.a.; Inszenierung: Hansgünther Heyme. Nächste Aufführungen: 20., 22., 23.Februar, 19., 20., 21., 22.März, 16., 18., 19.April.

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