: "Abscheulichkeit DDR"
■ betr.: "Gesprächsverweigerung", taz vom 14.1.92
betr.: „Gesprächsverweigerung“ (Die Öffnung der Stasi-Akten kann nur ein erster Schritt sein) von Matthias Geis, taz vom 14.1.92
Wenn mensch es erst einmal so richtig fest im Kopf hat, daß die DDR eine unmenschliche Diktatur und ihrem totalitären Wesen nach durch und durch ein Unrechtsstaat war, dann funktionieren Empörung, Abscheu und der Glaube an jede noch so perfide Schweinerei wie von selbst. Die häufigen Bezüge auf Naziverbrechen, die Gleichsetzung nahelegen, machen diese massive Manipulation schön rund.
Über die Horrorstorys der Herztransplantationen von Stasi-Ärzten in der Charité an lebenden Opfern haben intelligentere ZeitgenossInnen vielleicht noch gespottet. Daß die Stasi aber eine Ruhr-Epedemie riskierte, um Pastor Eggert und seine Kinder zu „vernichten“, scheint inzwischen schon kritiklos verköstigt zu werden.
Das kollektive Hineinsteigern in die „Abscheulichkeit DDR“ wirkt wie Gehirnwäsche. Die Gesetze der Logik geraten aus den Fugen. Obwohl das MfS samt ausnahmslos aller Mitarbeiter als verbrecherische Organisation dargestellt wird, gelten deren Akten als unbestechlich. Allerdings wird einem Stasi-Offizier nur geglaubt, wenn er einen IM belastet, bei Entlastung wird sein Zeugnis prompt angezweifelt. Auch dies hängt mit der Vorstellung vom „Unrechtsstaat“ zusammen. Wer abschwört, ist gut und wird umarmt. Wer immer noch meint, daß die DDR einen Versuch wert war, bleibt verbockt, verweigert das Gespräch, ist Überzeugungstäter, ein menschliches Schwein.
Bei der Denkfaulheit und Gnadenlosigkeit der Siegermentalität entsteht fatalerweise das Gegenteil des Gewünschten: statt Geschichtsaufarbeitung ein einseitiges Horrorbild hier, Nostalgie und Beschönigung dort, statt Gespräch zwischen „Opfern“ und „Tätern“ moralische Vernichtung hier, Verbitterung und Blockaden dort, statt offener Bewertung Vorverurteilungen und beschädigte Rechtsprinzipien hier, Schweigen und Vertuschungsversuche dort. Und die Heuchler, Maulhurer und Wendehälse haben Konjunktur.
Ich weiß, wovon ich rede. Meine Erklärungen zur eigenen Biografie bewirkten außer verstehbarer Ablehnung nur hemmungslose Niedermache und bösartige Beschuldigung wider besseres Wissen. Wahrlich ein ermutigender Auftakt zum Dialog und zur Versöhnung. Dirk Schneider, (West-)Berlin
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