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Atempause für Flüchtlinge in Van

■ Türkei verzichtet auf Auslieferung an den Iran/ UN-Flüchtlingskommissariat muß Aufnahmeländer suchen/ Bislang signalisierten nur Schweden und Norwegen Kooperationsbereitschaft

Berlin (taz) — Tagelang schwebten sie in der Angst, an die Islamische Republik ausgeliefert zu werden, vor deren Folterern sie teilweise erst vor Monaten geflohen waren. Jetzt können die 104 iranischen Flüchtlinge, die in der osttürkischen Stadt Van interniert sind, erst einmal aufatmen — die akute Gefahr ist gebannt: In Gesprächen mit dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) sicherte die türkische Regierung ihnen (vorübergehendes) Bleiberecht zu. In ihre Wohnorte im Westen der Türkei dürfen sie allerdings nicht zurückkehren.

Die Flüchtlinge, von denen die meisten Kurden sind, bleiben solange interniert, bis der UNHCR sichere Länder findet, die bereit sind, sie aufzunehmen. Für den UNHCR ist das eine schwierige Aufgabe, denn bislang haben nur Schweden und Norwegen einige Aufenthaltsgenehmigungen zugesagt. Die übrigen Asylländer — darunter auch die Bundesrepublik — zeigen bislang keine Kooperationsbereitschaft.

Seit einiger Zeit verfolgt die Bundesregierung eine „zunehmend restriktive Praxis“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen, sagte Christoph Bierwirth vom Bonner UNHCR- Büro gestern gegenüber der taz. So gab es im Jahr 1990 nur 100 „Übernahmen“ — sprich, Aufnahmen ins Bundesgebiet aus humanitären Gründen. Dabei ist die deutsche Rechtsprechung genauso wie die UN-Organisation davon überzeugt, daß es für Iraner in der Türkei gegenwärtig keine Sicherheit vor Verfolgung gibt.

Bierwirth geht sogar noch weiter: „Das Risiko für Iraner in der Türkei ist im Moment unerträglich“, sagt er. Das Land am Bosporus hat zwar die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, sich dabei jedoch ausdrücklich auf Europa beschränkt. Für den Schutz von Flüchtlingen aus nichteuropäischen Ländern fühlt es sich nicht verantwortlich. Wegen ihrer Lage ist die Türkei dennoch zu einer wichtigen Anlaufstation für Flüchtlinge aus zahlreichen nichteuropäischen Ländern — speziell aus dem nah- und fernöstlichen Raum — geworden. So kamen zum Beispiel Hunderttausende von Iranern. Bislang tolerierte die türkische Regierung in den meisten Fällen die Tätigkeit des UNHCR, der an ihrer statt die Asylbegehren der Iraner prüfte und anerkannte Flüchtlinge (rund 50 Prozent) in sichere Länder weiterleitete. Dieses stillschweigende Abkommen ist jetzt von den türkischen Behörden gebrochen worden.

Angebahnt hatte sich der Umschwung in der türkischen Flüchtlingspolitik bereits im vergangenen November. Damals waren drei Iraner abgeschoben worden. Einer von ihnen wurde nach Informationen der „Internationalen Föderation iranischer Flüchtlinge“ (IFIRIC) in Stockholm sofort verhaftet, von den beiden anderen verlor sich jede Spur. Einen ähnlichen Fall gab es zuletzt im Jahr 1987, als die Türkei 58 iranische Flüchtlinge an die Islamische Republik auslieferte. Mehrere von ihnen wurden dort hingerichtet. Der Sekretär der IFIRIC, Farhad Besharat, befürchtet jetzt, daß die Deportation und Internierung in der Grenzregion zum Präzedenzfall für die künftige Behandlung anderer iranischer Flüchtlinge werden könnte. Nach seinen Angaben hat das türkische Innenministerium bereits eine Liste mit 600 Namen von Iranern aufgestellt, die ebenfalls ausgeliefert werden sollen.

Der UNHCR hofft auf eine „großzügigere Praxis“ auch von Bonn, so Bierwirth. Wenn diese Hilfe ausbleibt, rechnet der UNHCR damit, daß die Zahl illegaler Flüchtlinge noch weiter steigt. Schon jetzt melden sich viele Iraner in der Türkei nicht mehr beim UNHCR, sondern bemühen sich gleich um eine „Weiterreise“ mit Hilfe von illegalen Schlepperorganisationen. Im Bonner Innenministerium ist der Fall nicht bekannt. Sobald der UNHCR um Hilfe bäte, würde das geprüft, so ein Sprecher des Ministeriums.

Die Motive der türkischen Regierung sind unklar. Flüchtlingsorganisationen vermuten, daß sich dahinter ein Annäherungsversuch an das Regime in Teheran verbergen könnte. So sollen der türkische Regierungschef Demirel von der „Partei des rechten Weges“ und der iranische Präsident Rafsandschani bereits ein Treffen planen. Dorothea Hahn

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