: Rußland: IWF-Beitritt im Sauseschritt
■ Industriestaaten wollen ihre Verantwortung für den Umbau der Sowjetwirtschaft schnell loswerden
Washington (dpa/taz) — Als 1944 im US-amerikanischen Bretton Woods der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank zwecks Stabilisierung des Weltwährungssystems in der Nachkriegszeit gegründet wurden, gehörte die Sowjetunion zu den 44 Gründungsmitgliedern. Sie trat dann allerdings den beiden Organisationen, die heute 156 Mitgliedsstaaten zählen, nicht bei. Aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr werden mehrere der 15 Republiken, die einst die UdSSR bildeten, Mitglied bei den beiden Finanzorganisationen in Washington werden, um Zugang zu deren Krediten zu bekommen.
Experten des IWF arbeiten mit Hochdruck daran, Aufnahmebedingungen und -formalitäten für zunächst fünf Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten — Rußland, die Ukraine, Kasachstan, Armenien und Aserbaidschan — sowie für die baltischen Länder Litauen, Estland und Lettland zu klären. Die Aufnahme in den IWF berechtigt zum Beitritt in die Weltbank.
Die Gruppe der sieben reichsten Industrieländer (G-7), die als Finanziers mit ihrer Stimmenmehrheit die Politik von IWF und Weltbank bestimmt, unterstützt die Aufnahme der GUS-Staaten vor allem deshalb, weil sie ihr finanziell Luft verschafft, sobald Kredite von IWF und Weltbank fließen. Außerdem läge die Verantwortung für den schwierigen Weg Richtung Marktwirtschaft dann bei diesen beiden internationalen Organisationen. Der IWF gewährt nur dann Kredite, wenn das entsprechende Land Staatsausgaben drastisch zusammenstreicht, Schulden abbaut, die Inflation bekämpft und unrentable Staatsbetriebe schließt. Das führt in der Regel zumindest für einige Jahre zu Arbeitslosigkeit und Armut der Bevölkerungsmehrheit. In der Dritten Welt waren die Washingtoner Währungshüter deshalb lange Zeit als erbarmungslose Weltpolizisten verschrien; vor allem auch deshalb, weil sie die Gegebenheiten vor Ort wenig berücksichtigten.
Das Aufnahmeverfahren, das eine umfassende Bestandsaufnahme der Wirtschafts- und Finanzlage und die Festlegung der für die Höhe der Kredite wichtigen Kapitalanteile (Quoten) umfaßt, wird für die früheren sowjetischen Republiken zügiger und großzügiger abgewickelt. Normalerweise dauert es sechs bis zwölf Monate, im Falle Polens zum Beispiel zog es sich über vier Jahre hin. Hinter der Eile steht die Überlegung, daß diese Länder ohne Kredite der beiden Finanzorganisationen tiefer ins Chaos schlittern und die angestrebten Reformen nicht aus den Startlöchern kommen.
Der Schritt Rußlands, die Preise mit allen Folgen für den sozialen Frieden zu liberalisieren, gilt als Beweis für den ernsten Willen, den vom IWF und den Industrieländern erwarteten Reformen nachzukommen. IWF-Beamte zeichneten dieser Tage ein positives Bild der Bemühungen insbesondere Rußlands um marktwirtschaftliche Reformen. Sie tragen die Handschrift des IWF.
Mehr noch als in den ost- und mitteleuropäischen Ländern gilt dem IWF die Stabilisierung der Wirtschafts- und Finanzlage und Einbindung der früheren sowjetischen Republiken in die Weltwirtschaft als ein „Unternehmen ohne Beispiel“. Er geht die neuen Aufgaben mit über hundert Mitarbeitern an und hat dafür neue Abteilungen geschaffen.
IWF-Beamte nannten unter anderem diese Schwierigkeiten: das Fehlen funktionierender Kapitalmärkte, arbeitsfähiger Notenbanken und richtiger Steuersysteme, schlechte oder gar keine sozialen Sicherheitsnetze, unzulängliche Statistiken, um die Verantwortlichen zur Beschneidung der Bürokratie und Ausgaben zu bewegen und eine strengere Geldpolitik durchzusetzen. Daneben sollte ein möglichst freier Handel zwischen den Republiken gesichert werden. Eine weitere Schwierigkeit seien die Bestrebungen einiger Staaten, an die Stelle des Rubels eigene Währungen zu setzen.
Trotzdem glauben die IWF-Experten, angesichts einer mit Ausnahme in Wirtschafts- und Finanzfragen meist gut ausgebildeten Bevölkerung und angesichts der materiellen Ressourcen, daß die Reformen Erfolg haben können.
Aus den Erfahrungen mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei ziehen sie diese vorrangigen Lehren: Reformen müssen „kühn und umfassend“ angepackt werden, und die Privatisierung müsse so rasch wie möglich erfolgen. Eine größtmögliche Hilfestellung durch soziale Netze und Umschulung der Arbeitnehmer sowie „gut plazierte Hilfen von außen“ seien des weiteren erforderlich.
Ein Punkt, zu dem es nach Angaben aus IWF-Kreisen erst erste Überlegungen gibt, sind die Quoten und damit die Kreditmöglichkeiten sowie die Stimmrechte in den Gremien von IWF und Weltbank. Die IWF-Statuten sehen dafür eine komplizierte Formel vor, in die eine Fülle von Daten und dann ein Vergleich mit der Wirtschafts- und Finanzkraft anderer Mitglieder eingeht. Die unsicheren Statistiken erschweren das. Der Wertverlust des Rubels hat zudem Rußlands Wirtschaft stark schrumpfen lassen. Die Bemessung der Quoten wird daher auch eine politische Dimension haben.
Geklärt werden muß die Statusfrage, ob Rußland im 22köpfigen Interimsausschuß des IWF wie die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, China und Saudi-Arabien mit eigenem Exekutivdirektor vertreten sein wird oder sich einer Gruppe anschließen muß. Der Interimsausschuß ist das Gremium, das die Politik des IWF bestimmt. Damit verbunden ist die Frage, welche Staaten Stimmrechte abtreten. Eine andere ist, ob Rußland und die anderen künftigen Mitglieder bei ihren knappen oder nicht vorhandenen Devisenreserven wie vorgeschrieben einen Teil ihrer Quote in harten Währungen einzahlen. Hier gibt es bereits Überlegungen, daß Industrieländer diesen „Einstandspreis“ wohl zunächst vorschießen müssen. dri
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