piwik no script img

Sarajevo wird zur geteilten Stadt

Noch ist die Zukunft Bosnien-Herzegowinas ungewiß/ Kroaten und Muslimanen bilden Koalition gegen Serben/ Serben wollen neue Verwaltungsstruktur, die zum Bevölkerungsaustausch führt: „UNO Beobachter ja, UNO-Truppen nein“  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Es ist gar nicht mal so lange her. Vor acht Jahren war Sarajevo, die Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas, noch Olympiaort. Damals im Winter 1984 präsentierte sich die Stadt als eine moderne, der Zukunft zugewandte Metropole, die ihren besonderen Reiz aus der Mischung der Kulturen zieht. Sarajevo, die Stadt der Moscheen, die Stadt der orthodoxen und katholischen Kirchen, die Stadt moderner, architektonisch gewagter Hochhäuser, sollte ein Jugoslawien repräsentieren, das Geschichte und Gegenwart zu verbinden weiß, das seine Traditionen schätzt und das sich gleichzeitig auf dem Sprung in die hochindustrialisierte Welt befindet.

Noch heute sieht man die Spuren dieses Ereignisses und seiner Intention. Am Straßenrand stehen ab und an etwas abgeblätterte Schilder, die den Weg zum Organisationskomitee und zum Pressezentrum wiesen. Im damals hergerichteten Basar sind die orientalischen Lädchen akurat in Reih und Glied gestellt, komensurabel für eine Touristenwelt, die zwar an den orientalischen Waren schnuppern, jedoch nicht von allzu fremdartigen Düften überfordert werden will.

Geschäfte in renovierten Renaissancehäusern, Restaurants im Souterrain historischer Gebäude, Cafés und Kneipen, die sich zwischen Moscheen und Kirchen drängen, zeugen selbst noch in diesen Zeiten von dem Willen mancher Bürger, die Zeugnisse ihrer Geschichte geschäftlich nutzbar zu machen. Muslimanen und Serben bilden die beiden größten Bevölkerungsgruppen, aber auch viele tausend Kroaten leben hier in der 700.000-Einwohner-Stadt.

Doch auch in der Stadtbevölkerung sind die ethnisch-religiösen Grenzen schärfer gezogen als zuvor. Gemischte Treffpunkte wie dieser werden immer seltener, viele Freundschaften sind zerbrochen, feindselige Blicke treffen sich auf den Straßen. Zwar gab es noch im Spätsommer Demonstrationen für den Frieden, Zehntausende aus allen Bevölkerungsgruppen nahmen daran teil. Der Krieg und die Spannungen zwischen den Eiferern haben aber die moderne Mittelschicht zermürbt. Sieht man von den Tausenden jungen Männern ab, die der Ableistung des Wehrdienstes durch Flucht zuvorkamen, haben auch viele qualifizierte Leute die Stadt und das Land in Richtung Westeuropa verlassen.

„Das Land darf nicht geteilt werden“

Hier gebe es nichts mehr zu verdienen, durch die Belgrader Notenpresse, über die man die Armee bezahle, werde die Währung jeden Tag entwertet, erklärt ein junger Ingenieur und zuckt mit der Achsel. Auch er spiele mit dem Gedanken zu gehen. Ihn halte nur noch die Verantwortung um die Großfamilie. „In den Dörfern mehren sich die Zwischenfälle, es kam zu Schießereien.“ Er selbst sei Muslimane, nicht sehr religiös. „Glauben Sie mir, nicht weil auch unser Präsident Izetbegovic ein Muslimane ist, stimme ich ihm zu: Dieses Bosnien-Herzegowina darf nicht geteilt werden, wir müssen unabhängig werden, um zu überleben und dies alles zu erhalten.“ Und er deutet auf den mit Arabesken und Ornamenten geschmückten Haupteingang der Beg-Moschee, einem der schönsten Werke der muslimischen Kultur.

Die Muslimanen stellen mit offiziell 43 Prozent die stärkste Nation in Bosnien-Herzegowina. Doch die Anstrengungen des bisherigen Präsidenten Alia Izetbegovic, das lange Jahre wirkende multikulturelle Staatsbewußtsein auch in die Demokratie zu retten, ist angesichts der Dynamik des Krieges in Kroatien gescheitert. Auch konnte Izetbegovic, der selbst Autor eines Buches über die Position eines islamischen Staates ist — dafür mußte er während der Tito-Zeit für 13 Jahre hinter Gitter—, nicht alle Gerüchte zerstreuen, die Muslimanen nutzten die gegenwärtige Situation, um eine islamische Republik in Bosnien zu errichten.

Wenngleich die große Mehrheit der Muslimanen solcherart Gedanken weit von sich weist, sind die fundamentalistischen Strömungen in den letzten Jahren angewachsen. Und daß Izetbegovic auch nach Iran, Libyen und dem Sudan reiste, um dort um Hilfe für die Muslimanen zu bitten, hat bei den anderen Volksgruppen, auch bei den Kroaten, Mißtrauen gesät. Der gemeinsame Staat steht auf tönernen Füßen. Er kann sich nur erhalten, wenn keine der Gruppen ihre Forderungen überreizt.

Im katholisch-erzbischöflichen Ordinariat der Stadt wird die gute Zusammenarbeit mit den Moslems gelobt. Das Zusammenwachsen der Gesellschaft zu befördern, sei für ihn eine Selbstverständlichkeit, gegenüber den serbischen Ansprüchen aber bleibt der Erzbischof von Bosnien-Herzegowina, Vinko Puljic, hart: Bosnien müsse als unabhängiger Staat anerkannt werden, die Armee müsse von ihrem Territorium verschwinden.

Die wirkliche Gefahr kommt von der Armee

Truppen der Vereinten Nationen sollten so schnell wie möglich kommen. Und er zeigt sich auch nicht begeistert von der Frage, ob nicht angesichts der Tatsache, daß die Religion konstituierendes Moment des nationalen Bewußtseins der Nationen dieses Staates sind, gerade die Kirchen versuchen müßten, Brücken zu schlagen. Denn die orthodoxe Kirche fordere immer noch eine Entschuldigung für die „Taten“ (gemeint ist die Ermordung von Serben, Roma und Juden während der klerikal-fschistischen Ustascha-Diktatur), die „einzelne Priester und Mönche“ während des Zweiten Weltkrieges begangen hätten. Die Kirche als Ganzes aber habe sich nicht schuldig gemacht, und außerdem sei er damals noch ein Kind gewesen. Den jetzigen Klerus betreffe dies doch gar nicht. Er halte eine kritische Distanz zur Politik, er kritisierte das „vorausgehende Regime“, die Kommunisten, und auch die jetzigen Machthaber.

Dennoch fordere die Kirche, daß Bosnien als Ganzes zusammenbleiben müsse. Die wirkliche Gefahr komme von der Armee, mische sich hier in die Angelegenheiten, so daß es keine demokratischen Abstimmungen geben könne.

Während die Muslimanen Zurückhaltung üben, denken die Serben in Sarajevo schon an ihre zukünftigen Gebiete. Das Holiday-Inn, längst nicht mehr nur Hotel, ist seit Anfang Januar das Zentrum der serbischen unabhängigen Republik in Bosnien geworden. Hierher hatten sich die serbischen Abgeordneten des bosnischen Parlaments schon im Dezember zurückgezogen, hier hatten sie ein eigenes Parlament gegründet, nachdem sie wegen der Unabhängigkeitserklärung des Restparlaments, bestehend aus den muslimischen und kroatischen Abgeordneten, aus dem gemeinsamen Parlament ausgezogen waren. „Immerhin sind wir, die Serben, 31 Prozent der Bevölkerung, eine der drei konstituierenden Nationen, und gemäß der Verfassung der Republik Bosnien- Herzegowina hätte eine solche Entscheidung gar nicht fallen dürfen“, sagt Radovan Karadzic, der bisher unbestrittene Führer der Serben Bosniens, ein 46jähriger Psychiater. Die Verfassung schreibe ein Konsensprinzip zwischen den drei Gruppen vor. Und dieser Konsens sei durch die muslimanischen und kroatischen Abgeordneten gebrochen worden. Deshalb hätten sich die Serben am Anfang Januar für unabhängig erklärt.

Vielleicht gebe es doch noch eine Lösung des Problems, bedeutet der Präsident der Serben Bosniens Karadzic. „Fest steht, wir Serben werden nicht in einem Staat leben, der getrennt von Serbien ist. Das nehmen wir nicht hin. Wer dies fordert, will den Krieg. Wenn wir aber irgendwie in einem neuen Jugoslawien zusammenleben könnten, auch wenn nur eine Konföderation zwischen Bosnien und der Föderation Serbien-Montenegro gebildet würde, dann könnten wir uns damit abfinden.“

Karadzic nimmt einen Stift und malt mit geübter Hand die Umrisse der Republik. In Bosnien-Herzegowina gebe es in 100 von 109 Bezirken Serben, fährt er fort, in mehr als 40 Bezirken stellten die Serben die Mehrheit. Es sollte Parlamente dieser Kantone, regionale Strukturen und auch allen gemeinsame Institutionen im künftigen Staate geben. Ein Oberstes Gericht könnte Streitigkeiten schlichten. Es gebe dann eben drei Verwaltungen, die voneinander unabhängig wären. „Nur so können wir aus dem Krieg entkommen. Nicht aber wenn Bosnien anerkannt würde. Es gibt zu viele Extremisten, niemand könnte die Auseinandersetzungen auf lokaler Ebene stoppen.“ Und an diesem Punkt wird Karadzic sehr ernst, denn ein Blick in seine Umgebung genügt, um festzustellen, daß der Präsident der Serben von gefährlich kämpferischen und kompromißlosen Leuten umgeben ist.

Seit Monaten werden von allen Beteiligten Pläne entworfen. Es geht um Gremien, Einflußsphären und Sicherheitsgarantien. Noch sind sich die Verantwortlichen bewußt, daß es bei bewaffneten Auseinandersetzungen zu einem Tür-zu-Tür-Krieg kommen würde.

Während aber die einen, Kroaten und Muslimanen, den Einsatz von Blauhelmen der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina fordern, lehnt dies Karadzic strikt ab. „Die bedeutete den Rückzug der Armee, wir werden dies jedoch nicht zulassen. UNO-Beobachter ja, UNO- Truppen nein“, lautet seine Formel. „Wir werden uns keinesfalls ungeschützt ausliefern.“ Äußerste Kompromißlinie für ihn ist die Formel: „Armee plus Blauhelme in Bosnien- Herzegowina.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen