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Engholms Triebfeder ist sein nordisches Pflichtgefühl

■ Der Kieler „Bügelfaltensozialist“ hat sich wohl nicht um seiner selbst willen für die Kandidatur entschieden

Zum zweiten Mal in Jahresfrist handelte Björn Engholm nach dem Motto „Wat mutt, dat mutt“. Mit diesen Worten kündigte er im Dezember 1990 seine Bereitschaft an, den SPD-Vorsitz zu übernehmen. Mit ähnlichen Gefühlen dürfte er sich nun auch zur Kanzlerkandidatur entschlossen haben. An Frauen wie Männern schätzt der 52jährige Kieler Ministerpräsident „Ehrlichkeit, Natürlichkeit und Charme“. Der „Sozialist mit Bügelfalten“ ist nach Auskunft von Freunden „politischer, als er aussieht“. Allerdings hätten viele Parteifreunde in den ersten Monaten seiner Amtszeit gern ein wenig mehr Führungskraft von ihrem Vorsitzenden gesehen — zum Beispiel in der monatelangen Kandidatendiskussion.

Der damalige Kanzler Helmut Schmidt förderte den Mann mit den schwedischen Vorfahren, der bei allen Wahlen zwischen 1969 und 1980 in seiner Geburtsstadt Lübeck überlegen das Bundestagsmandat gewonnen hatte. Engholm wurde Parlamentarischer Staatssekretär und 1981 Ressortchef im Bildungsministerium. Seine persönliche Bildungskarriere hatte er erst im zweiten Anlauf geschafft: Nach der mittleren Reife war der Sohn eines Speditionsangestellten vom renommierten Lübecker Johanneum-Gymnasium geflogen. Nach einer Schriftsetzerlehre und dem Besuch der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik studierte er Politik, Volkswirtschaft und Soziologie. Der SPD trat Engholm nach einer Hospitanz bei den FDP-Jungdemokraten 1962 bei.

Seine Distanz zur „Bonner Käseglocke“ hat Engholm bis heute nicht verloren: „Ich komme schon mit dem Klima dort nicht zurecht.“ Trotzdem folgte er nach dem Ende der sozialliberalen Koalition nur zögernd dem Ruf an die Küste. Der Niederlage 1983 als Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein gegen Uwe Barschel (CDU) folgten sechs Jahre als Oppositionsführer in Kiel. Nach einem schmutzigen Landtagswahlkampf mit persönlichen Verunglimpfungen durch die CDU und der Barschel-Affäre gewann Engholm bei der Landtagswahl im Mai 1988 für die SPD das Traumergebnis von 54,8 Prozent.

Hickhack um die Kanzlerkandidatur

Das parteiinterne Hickhack um einen sozialdemokratischen Herausforderer begann unmittelbar vor der Wahl eines Fraktionschefs für die Bundestags-SPD im November 1991. Rudolf Dreßler, Mitbewerber um die Nachfolge von Hans-Jochen Vogel, verkündete am 10. November, Parteichef Björn Engholm habe die „Option für eine Kanzlerkandidatur“. Vogel selbst warnte hingegen: „Nach meiner Erfahrung ist es nicht gut, diese Entscheidung wesentlich früher als ein Jahr vor der Wahl zu treffen.“

Wenig später, am 1. Dezember 1991, meldete sich Parteichef Björn Engholm zu Wort. Beim Parteitag der Nord-SPD erklärte er, er gebe den Wählern in Schleswig-Holstein die „feste Zusage, drei Jahre für sie als Ministerpräsident zu arbeiten“. Kurz darauf fordert der neue SPD- Fraktionschef Hans-Ulrich Klose den SPD-Vorsitzenden auf, gegen Kohl anzutreten. Drei Tage später erklärt Klose sich bereit, gegen den Kanzler zu kandidieren, falls Engholm verzichte. Unverständnis für die von Klose forcierte Diskussion bekundet der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse. Drei Jahre vor der Wahl sei die Debatte um einen Kohl-Herausforderer „absurd“. Klose seinerseits setzt sich dafür ein, daß die Parteimitglieder den Kandidaten noch 1992 in einer „Vorabwahl“ küren.

Mitte Januar kündigt Engholm an, er werde die SPD-Gremien „in Kürze“ über Auswahlverfahren und Zeitpunkt der Nominierung unterrichten. dpa

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