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Wind, Wasser und Sonne

■ Gelungener Auftakt der »Inventionen 92«, des »Berliner Festivals Neuer Musik«

Programmusik ist äußerst selten geworden, der Begriff schon fast zum Schimpfwort für billige Effektwelten verkommen. Eisler bereits rettete sich durch den Titel seines Stückes vierzehn Arten den Regen zu beschreiben vor solcherlei Vorwurf in die Betonung virtuoser Instrumentationskünste.

Das Ensemble Köln wagte es am Montag abend in der Kammerphilharmonie, anläßlich seines Konzertes im Rahmen der Inventionen 92 (das dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert) den Schwerpunkt — unausgesprochen — auf zeitgenössische Programmusik zu legen.

G'erard Griseys Jour, Contre- jour für elektronische Orgel, dreizehn Musiker und vierspuriges Zuspielband, eröffnete den Abend. »Ohne Beginn, ohne wirkliches Ende, vom Licht der Morgendämmerung zum Dunkel des Sonnenunterganges zielt diese Art Klepsydra auf eine besondere Art Zeiterfahrung« schreibt der Komponist in seiner Erklärung und hat recht: ein groß angelegtes monochromes Klanggeschehen entfaltet sich in riesiger Langsamkeit, bevor es, ebenso behutsam, fast zeitlupenhaft wieder entschwindet.

Robert HP Platz, der Leiter des Ensembles, stellt seiner eigenen Komposition From fear of thunder, Dreams... (für sieben Instrumente und Tonband) zur Erklärung sechzehn verschiedene Donner-Beschreibungen aus Max Frischs Der Mensch erscheint in Holozän voraus. Die Musik donnert allerdings wenig, lebt eher von sensibel austarierten Expressivo-Passagen. Und zu der raffiniert ineinander verschobenen Satzfolge — sechs Sätze überlappen und überlagern sich derartig, daß sie schon eher als Schichten, denn als Sätze im traditionellen Sinn zu bezeichnen sind — erscheint der zweite Schwerpunkt des Abends: der Raumklang. Vom quadrophonen Tonband (das bereits im ersten Stück, nicht zuletzt durch die intelligente, fern auseinanderliegende Anordnung der Lautsprecher, für räumliche Überraschungen sorgte) erklingt ein fernes Orchester. Ein Horn dabei zusätzlich außerhalb des Saales geblasen, und wer das Programmheft nicht brav gelesen hat, sucht somit vergeblich nach dem Solisten.

Mythos von York Höller bildete den Abschluß des Abends. Auch hier darf wieder fernes Orchester wagnerzitatartig vom Band klingen, zu dem dreizehn Instrumente und Percussion das Ihrige beisteuern. Wind, Wasser und mehr liegen als poetische Bilder der Komposition zugrunde (wie Höller im Programmheft schreibt). Sie verwahrt sich aber zugleich gegen ein Hören als Programmusik.

Schlau und treffend schreibt Höller zudem, daß »Zuspielband« hier die falsche Bezeichnung wäre, da es sich bei den auf Band fixierten Klängen um einen mitkomponierten integralen Teil des Ganzen handelt. Da hat er völlig recht und zwar nicht nur für sich, sondern auch für die beiden vorher erklungenen Kompositionen, die oftmals das Rätsel stellten, ob gewisse Klänge von Band oder Instrumenten stammen.

Erstaunlich, was Robert HP Platz an zeitlicher Koordinierung zu leisten vermochte, entstand doch zu keinem Zeitpunkt das bei kombinierter Instrumental-/Tonbandmusik so oft beschworene Problem, daß die Interpreten anfangen, dem Band hinterherzulaufen und jede Agogik in der Zwangsjacke eines unentrinnbar ablaufenden Bandes verlorengeht.

Die Ensemblemusiker standen der Souveränität ihres Leiters in nichts nach und boten, oftmals hochvirtuos, musikalisch Überzeugendes. Besonders hervorzuheben die beiden Schlagzeuger Thomas Meixner und Thomas Oesterdiekhoff, die ihre völlig unterschiedlichen Soloparts in den Stücken von Platz beziehungsweise Grisey bewundernswert interpretierten.

Schön, dieses Ensemble in Berlin zu hören, steht es doch manchmal, obwohl längst auf allen wichtigen Festivals präsent, ein wenig im Schatten des ebenfalls in Köln ansässigen Ensemble Modern. Auch die ungewöhnliche und gut durchdachte Programmwahl läßt den Wunsch aufkommen, dieses Ensemble öfter zu hören. maier

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