Berlin, Stadt der Frauen

■ Ein erster Blick auf das diesjährige Berlinale-Programm

Am 13.Februar ist es wieder soweit: Dann eröffnen die 42.Internationalen Filmfestspiele Berlin ihre Pforten. Wieder wird es sechs US-Großproduktionen im Hauptprogramm geben — im Wettbewerb laufen Paul Schraders Light Sleeper mit William Dafoe und Susan Sarandon und Martin Scorseses Cape Fear. Letzterer ist das Remake eines Thrillers von J. Lee Thompson aus dem Jahre 1962. Robert de Niro und Nick Nolte spielen die Hauptrollen, die Protagonisten des Thompson-Originals, Gregory Peck und Robert Mitchum, treten als Gäste auf (Kinostart am 27.2.). Bob Hoskins wird in Andrej Konchalowskys neuester Produktion Inner Circle als Stalins Filmvorführer zu sehen sein (Kinostart am 5.3.) und Warren Beaty als Bugsy Siegel in Barry Levinsons gleichnamigem Film, in dem auch Harvey Keitel und Anette Bening auftreten (Kinostart am 12.3.). Kenneth Branagh hat nach seiner erfolgreichen Shakespeare-Verfilmung Henry V. einen Thriller gedreht, Dead Again, wieder mit Branagh selbst in der Hauptrolle und mit Emma Thompson in der Rolle einer Frau, die ihr Gedächtnis verloren hat. Hanna Schygulla spielt übrigens auch mit. Der Film mit dem deutschen Titel Schatten der Vergangenheit startet gleichzeitig in den Kinos, was den Verdacht nährt, daß es die Berlinale-Verantwortlichen auch in diesem Jahr nicht stört, wenn die US-Majors das Festival als prestigeträchtige Preview-Schau nutzen. Die bisher peinlichste Programmankündigung: Star TrekVI von Nicholas Meyer läuft im Hauptprogramm — wir sind gespannt auf die Begründung von Festival-Chef Moritz de Hadeln, zumal die einstimmige Ablehnung der Auswahlkommission von Straub/Huillets Antigone vorgestern in der 'Frankfurter Rundschau‘ mit scharfen Worten kritisiert wurde. Antigone wird nun im 'Panorama‘ zu sehen sein.

Die diesjährigen Highlights von Forum und Panorama stammen fast ausnahmslos von Frauen: Vergleicht man die (noch unvollständigen) Programme mit den spärlich gesäten Beiträgen von Frauen in den Vorjahren, kommt dies einer Sensation gleich. So werden im Hauptprogramm des Forums allein fünf Beiträge von deutschen Filmemacherinnen zu sehen sein. Ula Stöckl schildert in Das alte Lied die Begegnung einer Familie aus Ost- und Westdeutschland im Dresden von heute. Birgit Hein knöpft sich in Unheimliche Frauen die traditionellen Rollenklischees vor, der Film trägt den schönen Untertitel „Soldatinnen, Verbrecherinnen, Mörderinnen und ich selbst“. Jutta Brückner hat sich mit Rahel Varnhagen beschäftigt und erzählt in Kolossale Liebe sieben Jahre aus deren Leben. Cynthia Beatts Filmexperiment trägt den Titel Die Party — Nature Morte, und Ulrike Ottingers Achtstundenwerk Siberia berichtet von einer Reise ins Grenzgebiet von Mongolei und Rußland. Forums-Chef Ulrich Gregor hofft noch einen sechsten Frauenbeitrag zeigen zu können. Die ehemalige DEFA-Dramaturgin Tamara Trampe hat das Psychogramm eines Stasi-Offiziers erstellt, Titel des Films: Der schwarze Kasten. Der Fall der Mauer spielt übrigens auch in Mrinal Sens neuem indischen Film Mahaprithivi eine Rolle. Das Panorama wiederum präsentiert Helke Sanders neuen Film; in Befreier und Befreite sprechen Deutsche und Russen erstmals über das Problem der Vergewaltigung im Zweiten Weltkrieg. Helga Reidemeister hat in Rodina heißt Heimat den Abzug der sowjetischen Truppen 1991 dokumentiert, Peter Voigt rechnet in Metanoia in persönlichen Erinnerungen mit dem deutschen Stalinismus ab. Weitere Forums-Schwerpunkte: japanische Filme, in denen es vor allem um Einsamkeit und Entfremdung geht, und, im Rahmen der Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“, eine Reihe mit jüdischen und jiddisch-sprachigen Filmen, auch Klassiker aus den 30er Jahren, die das „National Center for Jewish Film“ in den USA restauriert hat. Aki Kaurismäkis neueste Produktion Das Leben der Bohème läuft ebenfalls im Forum und startet übrigens gleichzeitig in den Kinos.

Wegen der ohnehin in diesem Jahr besonders zahlreichen und wichtigen Dokumentarfilme hat das Panorama diesmal auf seine traditionelle Doku-Retrospektive verzichtet. Allerdings wird eine Reihe sorbischer Filme zu sehen sein, Filme der von den Nazis verfolgten und auch in der DDR lange unterdrückten sorbischen Minderheit nahe der polnischen Grenze; darunter ein DDR- Tresorfilm, Rublok von Konrad Herrmann. Neue Dokumentarfilme gibt es außerdem von Errol Morris, einen armenischen über den Tod von Sergej Paradjanow und die American-Playhouse-Produktion Brother's Keeper. Unter den Spielfilmen im Panorama-Programm fallen Olivier Assayas Paris s'eveille (mit Judith Godreche und Jean Pierre Léaud) und Long Shadow von Vilmos Zsigmond (mit Liv Ullmann und Michael York) ins Auge. Einen Blick Richtung Osten, vor allem in den „nahen Osten“ der neuen Bundesländer, verspricht das VideoFest der MedienOperative. Weitere Berlinale-Retrospektiven sind dem 80jährigen Bestehen des Filmstandorts Babelsberg gewidmet (inklusive einer Marlene-Dietrich-Ausstellung), dem Filmschaffen des 100jährigen (und noch lebenden) Hollywood-Komödianten und -produzenten Hal Roach und, im Rahmen des Kinderfilmfests, dem dänischen Kinderfilm. chp