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Der Körper als Philosoph

■ Heinz Emigholz' Film „Der Zynische Körper“

Ein in Bettüchern deformierter menschlicher Körper verliert die Statik seiner Proportionen; eine Tasse Tee kann bei ihrem Transport durch zittrige Hände, nicht aber aus dem Bild vergossen werden; und die Objekte in einer Galerie scheinen schräg an der Wand zu hängen. Das liegt an Köpfen, die gerade denken. Emigholz, der immer selbst auch Kamera führt, setzt mit seinen Bildkomplexionen physikalische Verhältnisse außer Kraft. Der Rahmen richtet sich nach den Dingen und nicht umgekehrt. Denn keine Wirklichkeit richtet sich nach dem Kopf aus, der sich nach ihr streckt. Jeder Blick muß sich aufs neue in einem Raum zurechtfinden, zu dem die Schullektionen der Bildungsanstalten über Maß und Zentralperspektive keine Einlaßbillets vergeben. Wo die Bilder zu denken beginnen, werden die Sinne zu Ausländern.

In all dem von Geist keine Spur. Emigholz' Filme sind eine Zumutung für alles, was guter Geschmack heißt und sein möchte. Die amerikanische Subkultur des Camp entthronte einmal Seriosität als Umgangsform mit der sogenannten Hohen Kultur. Kunst kommt eben nicht von Ernst. In Emigholz' Screwball- Comedy der zynischen Körper aber wird aufeinander losgelassen, was auf Kultur überhaupt verzichten kann: Daliah-Lavi-Schlager, Eis mit Bier, Lederkluften, Teppiche, Bratwürste, Postkarten und miniaturisierte Plastikskelette. Alles bewegt sich streng unterhalb dessen, was der Kulturbetrieb approbiert, dort, wo der Kitsch die Kultur verschluckt. Gefallen ist nicht das Äußerste, was dieser Film will.

Emigholz reagiert allergisch auf den Begriff „experimentell“, weil bei ihm keine wildgewordenen Ideen wüten. Die Ideen werden vielmehr auf ihre materielle Basis zurückgeschraubt, sinken in Körper zurück, aus denen sie unkenntlich wieder hervorkommen. So ein Körper ist die Sprache, die nur noch kalauert. Im Kalauer hört Sprache sich selber reden. Denn einen Kalauer kann man nicht erfinden und schreiben, man muß ihn auffinden und zitieren; daher rührt seine ohrwurmende Komik, die schon Freud auf die Nerven ging, der jene Versprecher entdeckte, die der Film aneinanderreiht und „Schlüpfer“ nennt. Im Kalauer hat sich das Leben in Falten gelegt, über die der Geist stolpert. Dahinter klafft der Abgrund des Unvernünftigen. Die Personen im Film basteln mit Sprache und reden souffliert, weil auch die Ideen Wörter sind und die Wörter keine Gefühle. Das hat mit Idiotie und Gefühllosigkeit nichts und mit Kalkül sehr viel zu tun. Der Kalauer mißachtet Sprache als Autorität.

Emigholz versucht, Beziehungen zwischen Körpern herzustellen, die nicht schon durch Geschichten vordiktiert wurden. Die Erzählerstimme eines Toten, die im Film auftaucht, ist dann höchstens ironische Referenz an den film noir, wo das Erzählen sich im berichtenden Über- Ich noch einmal spielerisch zu retten versuchte. Nur körperlose Stimmen könnten erzählen, was war und kommt; die aber werden abgeräumt. Gesprochen wird unablässig; das aber macht noch keine Erzählung. Kaum werden noch Fußnoten zum beschädigten Leben erdacht. Emigholz hat Montage als formale Maßnahme erledigt und benutzt sie thematisch. Zwischen den Sätzen und der Wirklichkeit besteht eine Relation, die nicht ich sagt. Durch welchen Grad von Nähe man sich porträtiert fühle, fragt der Film zum Beispiel, durch einen Rasterpunkt auf dem Abdruck eines Satellitenfotos, dessen Größe die Stadt Toledo repräsentiert, oder durch ein Runzelkorn, so groß wie eine Hautpore. Die Sätze und Bildräume sind Gebäude, doch man kann sie nicht bewohnen. Emigholz springt unentwegt zwischen dem Kleinsten und der Totalität eines Zusammenhangs hin und her; jede Konjunktion wird zum Risikofaktor und Unvorhersehbaren.

Der Zynische Körper ist der Baukasten einer möglichen Geschichte, die im Film recherchiert wird. Fortwährend wird gesammelt, notiert, geklebt, gezeichnet, fotografiert und gelesen; in dieser Lektüre nimmt nichts seinen Gang, weil es um Beziehungen in Raum und Zeit geht, die sich nicht entwickeln, die man erfährt, nicht aber erzählt und mit roten Fäden nach Strichmustern durchzieht. In den Filmen Rivettes ist die Stadt eine mythisch geladene Topographie, bei Antonioni eine gesellschaftliche Befindlichkeit; Emigholz jedoch konstruiert Kräftediagramme, in denen Körper sich anziehen und abstoßen. Die Architekturen im Film gehören zum Starring. Der Kölner Dom erscheint als Phantasmagorie des Geistes, während Gaudis Kathedrale in Barcelona die organlos wuchernden Felsformationen einer Pyrenäenlandschaft nachahmt. Die gebaute, bebilderte und beschriftete Außenwelt hat Natur ausgestrichen. Und die scheint man, Emigholz zufolge, überhaupt nur noch in Schwarzweiß wiedergeben zu können. Linien haben die Welt durchzogen. Auch das Leben ist schon eine Fiktion, und im Film kann man zeigen, daß auch Körper Bilder sind. Hinter dem Make-up haust nicht das Leben, sondern dessen instabiler Aufbau. Von dem Lektor, der während des Films kein einziges Wort schreibt, bleibt am Ende nur ein dreidimensionales Bild, die Totenmaske, die man ihm abgenommen hat.

Dieser Film ist nichts weniger als ein „Essay“. Seine Personen sind weder Modelle für Geschichten noch für Ideen; sie leben eine Art nicht- biologischer Familie. Der französische Titel des Films heißt La Sainte Famille — „Die heilige Familie“, wie Gaudis Kathedrale, in der die Ideen nicht die Körper überfallen, und wie Marx' Abrechnung mit dem deutschen Idealismus von 1845.Lars Henrik Gass

Heinz Emigholz: Der Zynische Körper. Mit Klaus Behnken, Eckhard Rhode u.a., BRD 1991.

Galapremieren in Anwesenheit des Regisseurs:

Berlin: Passionskirche Marheinekeplatz, 24.Januar, 20Uhr, mit Chor.

Stuttgart: 29.Januar.

Frankfurt: 31.Januar.

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