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Orpheus in der Pädagogenwelt

■ Behinderte und Verhinderte zu Gast im Maxim Gorki Theater

Ungewöhnliche Menschengruppen« will die Gruppe Thikwá mit Orpheus, einem Gastspiel auf der Studiobühne des Maxim Gorki Theaters, zusammenführen. Die Inszenierung nach Motiven aus der griechischen Mythologie ist zwar nicht von, doch wenigstens mit Darstellern realisiert, die landläufig und amtlich als Behinderte tituliert werden.

Schon vor der Premiere verschwimmen im schmalen Foyer die Grenzen zwischen Gehandicapten mit Jagdschein und den anderen, die frei herumlaufen dürfen. Einige Freikartenberechtigte der von evangelischer Kirche und Akademie der Künste geförderten Veranstaltung drängeln sich — Autisten mimend — an der protestierenden Menschenschlange vorbei, um die transitgrenzengleiche Prozedur vorm Kassenhäuschen abzukürzen. Dort geht alles seinen postsozialistischen Gang: die Reservierung suchen, Heftklammer lösen, Kontrollstreifen von der Karte abschneiden, an die Reservierung heften und doppelt stempeln lassen.

Eingeleitet durch geflötete Versatzstücke musikalischer Früherziehung frei nach Orff, entspannt sich vor grauem Dekor die Geschichte des Muttersöhnchens Orpheus. Der Liebling des Apoll und Priester des Dionysos, dargestellt von Torsten Holzapfel, wird nach dem Tod seiner Mutter in die Welt geschubst. Vom Sandmann läßt er sich die Trauer wegschwatzen, um auf seiner Reise in eine Partygesellschaft zu geraten. Kaum in die Gemeinschaft aufgenommen, verliebt er sich in Eurydike, die von Martina Nitz eindrucksvoll vom Rollstuhl aus verkörpert wird.

Die Liebe der beiden füreinander gestaltet sich schwierig. Orpheus mag sich selbst nicht. Nähe kann er darum nicht ertragen — auch dann nicht, als Nitz plötzlich auf eigenen Beinen steht: »Wie kann ich mich in deine Brust verkrallen, wenn du dich dermaßen zerfleischst?« Zweimal verheddert sie sich — eingeklemmt zwischen zwei Männern, die sie stützen. Sie kürzt den Satz um je zwei Worte und bringt ihren Auftritt schließlich souverän zu Ende.

Während die gehandicapten Akteure ihren Fähigkeiten entsprechend vor allem die Nebenrollen besetzen, tragen die ihnen zur Seite gstellten berufsmäßigen Schauspieler ihre Rollen nur brav und zaghaft vor. Da vor allem sie es sind, die die Handlung des Stücks zu tragen haben, überwiegt der pädagogische Nährwert der Aufführung den ästhetischen um Längen.

Die lobenswerte Intention von Projektleiterin Christine Vogt, eine »Förderung ihrer Handlungs- und Ausdruckskompetenzen... außerhalb der üblichen beschützenden Werkstätten« für — im konventionellen Sinn — Behinderte zu erreichen, verkehrt sich durch eine Veranstaltung wie den Orpheus in ihr Gegenteil. Es kann nur noch applaudiert werden. Der alles dominierende gute Wille, der den Abend trägt, nimmt weder die Akteure noch das Publikum für voll.

Als Reha-Projekt klassifiziert, wird die ästhetische Auseinandersetzung mit dem Stück selbst unmöglich. Mit dem Filmklassiker Freaks, wo Krüppel und Menschen mit dreieckigen Köpfen Jagd auf einen körperlich unversehrten Schurken machen, war man in dieser Sache schon in den dreißiger Jahren weiter. Freundlicher Applaus. Stefan Gerhard

Orpheus noch heute um 20 Uhr auf der Studiobühne des Maxim Gorki Theaters, vom 20. bis 23. Februar im Theatersaal der Ufa Fabrik, vom 5. bis 8. März im Kunsthaus Tacheles und vom 20. bis 23. März im Club Gérard Philipe zu sehen.

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