: Ein Büroensemble für Kreuzberg
■ Kreuzberg auf Schlitterkurs — eine Ausstellung in der Architektur-Galerie »aedes« zeigt den Hochhausentwurf der Architekten Sauerbruch/Hutton für die Erweiterung des GSW-Gebäudes an der Kochstraße
Es gibt städtebauliche und architektonische Figuren, die — sind sie erst einmal gefunden — so selbstverständlich, einfach und klar auftreten, daß es einen wundert, warum nicht auch andere auf diese Figur gekommen sind. Das gilt um so mehr bei aus Wettbewerben hervorgegangenen Arbeiten, weil sich beim Vergleich der verschiedenen Konfigurationen und Denk- und Baufiguren erst die wirkliche Qualität einer einfachen Lösung herausstellt. Gelegenheit, einen solchen Entwurf zu sehen, bietet momentan die Architektur-Galerie aedes von Kristin Feireiss im S-Bahnbogen 600, zwischen Savignyplatz und Bleibtreustraße. Dies ist übrigens die einzige Galerie dieser Art in Deutschland, und man kann dieser Einrichtung und ihrer Betreiberin nur Lob aussprechen — auch wenn man nicht immer mit dem Programm einverstanden sein muß.
Bei diesem Wettbewerbsergebnis handelt es sich um den Entwurf der Architekten Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton für das Erweiterungsgebäude der GSW (Gemeinützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Berlin mbH). Der Wettbewerb selbst wurde 1990/1991 durchgeführt. Beteiligt an seiner Vorbereitung und Durchführung waren der Bezirk ebenso wie die zuständigen Senatsbehörden. Das Verfahren war durchsichtig und die Entscheidung fiel nach zwei Durchgängen, also einschließlich einer Überarbeitungsphase für den dann anschließend prämierten Entwurf.
Bei diesem Entwurf sind es zwei Betrachtungsebenen, auf die wir zunächst unser Augenmerk legen: eine städtebauliche und eine architektonische. Der Entwurf hatte sich einerseits auf die vom Auslober des Wettbewerbs vorgegebenen Rahmenbedingungen zu stützen, andererseits aber auch eine eigenständige Interpretation dieses Gebietes zu liefern.
Die baulich-räumliche Situation der Südlichen Friedrichstadt ist von einer Reihe von Stadt- und Hochhaus- Figuren geprägt, der sich Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton auf eine unkomplizierte Art und Weise stellen. Sie gesellen dem vorhandenen Hochhaus der GSW- Hauptverwaltung aus den fünfziger Jahren eine architektonisch beeindruckende, flache, verglaste und leicht gebogene Hochhaus-Scheibe als Nachbar-Solitär zu. Sie gehen somit additiv vor, ergänzend eingreifend. Ihnen gelingt somit aber gleichzeitig eine Neu-Definition der vorhandenen Substanz und die Zurschaustellung einer »Schweiß«-Verbindung. In dieser Schweißnaht der addierten Gebäudeteile gewinnt das Team durch die Schaffung je einer Lobby pro Etage auch noch zusätzliche Raumqualitäten für den »Alt«- Bau.
Berücksichtigt man an diesem Ort die Blickbeziehungen Leipziger Straße, »Springer«-Hochhaus und das Haus von Müller/Heinrichs (Linden-/Junckerstraße), kommt einem diese Konfiguration logisch durchdacht und konsequent ausgeführt vor; denn gerade dieser östlich der Friedrichstraße gelegene Teil der alten Friedrichstadt verträgt, ich bin geneigt zu sagen: benötigt geradezu städtebauliche und architektonische Dominanten, die den Berliner Traufhöhen-Wahn zu konterkarieren in der Lage sind. Es kann an diesem Ort nur um das kritische Zuendedenken der im Laufe der Geschichte vorformulierten Figuren und Lösungsvorschläge gehen. Das heißt auch, daß man vorhandene Baufiguren auf moderne Weise, mit neuen Figuren ergänzt, und nicht so tut, als sei die Restitution des Raumes ohne Verlust an historisch ablesbarer Identität zu erreichen.
Nähern wir uns dem Block als Fußgänger und dem Gebot des Auslobers des Wettbewerbs, »daß die Blockecken städtebaulich zu artikulieren sind (...) und erwartet wird, daß in der Auseinandersetzung mit dem vorhandenen, architektonischen Konzept von Turm und Flachbau und dem Erweiterungsprogramm die Einbindung in das historische Profil und den Raum der Kochstraße und die Seitenstraßen als ein zentrales Thema der Wettbewerbsaufgabe behandelt wird«, so wird gerade hier — im Vergleich mit den anderen Wettbewerbsarbeiten — die Stärke dieses Entwurfes deutlich. Allen anderen Arbeiten haftet nämlich dadurch etwas kompromißlerisches an, weil sie versuchen, den Block durch die mehr oder weniger klassische Randbebauung zu schließen, das vorhandene Hochhaus aber somit verbauen, verstecken, es einklammern — stadträumlich und architektonisch.
Sauerbruch/Hutton arbeiten anders: Sie schließen den nur noch im Straßenmuster ablesbaren »Block«- Rand zur Kochstraße nicht mit die Ecke betonenden klassischen Eckbauten, sondern mit einem architektonisch modernen, drei- bis viergeschossigen leicht geschwungenen Riegel, mit einer (räumlich) klassischen Zeile. Diese Zeile wiederum erhält zusätzlich einen erschließungsbedingten Schwung auf der Straßenebene und außerdem einen den Scheitelpunkt dieses Schwunges überragenden optischen Haltepunkt. Diese drei Punkte: die Ecken der Zeile und der eine Kopf der Hochhaus-Scheibe stellen die gewünschte alte Bauflucht her. Diese Bauflucht taucht hier aber nicht als Ausgangspunkt der Überlegungen auf, sondern vielmehr als Ergebnis der geforderten Auseinandersetzung mit dem »vorhandenen Konzept vom Turm und Flachbau« (als vorhandene und neu geschaffene Figur) und mit dem in die Straße eingeschriebenen Blockraster. Mit der Nichtbebauung der Charlotten- und der Markgrafenstraße, betonen die Architekten zusätzlich den Solitär, wodurch ihnen gleichzeitig die Schaffung zweier neuer öffentlicher Räume in Form kleiner Parke gelingt.
Und auch das ist neu und schön gewählt und ausformuliert: die einhüftige Büroorganisation und die sich daraus ergebende, sehr schlank ausgebildete Scheibe, die sich dem alten Bau nicht anbiedert, sondern der geforderten Bürofläche und -nutzung Rechnung trägt und sich zusätzlich im besten Sinne additiv (historisch und baulich-räumlich) verhält.
Mit seiner stadträumlichen und baulichen Figur, seiner architektonischen und vor allem seiner formalen und technischen Ausformulierung ist es so eigenständig und neu, daß es einem schwerfällt, ohne bittere Enttäuschung aufs wiederholte Mal mitzubekommen, wie Denkschranken und Geschmacksfragen der politischen Entscheidungs- und Bedenken-Träger ein Projekt zu verhindern suchen, das an diesem Standort eine würdige Haltung einzunehmen in der Lage ist. Die zuständigen städtisch angestellten Bedenkenträger sagen nämlich jetzt, das das Hochhaus einige Bedingungen nicht erfülle, um die Erteilung einer Baugenehmigung zu erhalten. Es veschatte umliegende Gebäude, überschreite die GFZ und die GRZ und gliedere sich nicht ein: »Die bauliche Entwicklung soll als weitere kontinuierliche stadtgrundrißkonforme, blockorientierte Vervollständigung des Siedlungstorsos Südliche Friedrichstadt erfolgen. Auch die Kochstraße ist im Wesentlichen geprägt durch einheitliche Bauflucht und Gebäudehöhe. (...) Hochhäuser bilden historisch bedingt die Ausnahme. (...) Maßgebend für eine Beurteilung kann somit nicht die Maßstäblichkeit der bestehenden Hochhäuser, sondern nur die beidseitig der Kochstraße gegebene Bauhöhe sein.« Soweit das Bezirksamt Kreuzberg, Abt. Bau- und Wohnungswesen.
Wenn man allerdings weiß, daß es vor Jahren von der GSW schon einmal einen Antrag auf Erweiterung des bestehenden Gebäudes gegeben hat, in dem genau diese Blockrandbebauung vorgeschlagen wurde, und wenn man weiß, daß der damalige Antrag mit dem Hinweis auf die Zerstörung von »Grünflächen« (die vor dem Hause liegende undefinierbare Brache war gemeint — allen Ernstes!) vom Bezirksamt abgelehnt wurde — so bleibt nur Kopfschütteln und Ärgernis.
Die GSW widerspricht dieser Auffassung der Behörden zu Recht: »Das Projekt zur Erweiterung ist vor dem Hintergrund einer amorphen Stadtsituation dahingehend zu beurteilen, inwiefern diese in sich widersprüchlichen städtebaulichen Gegebenheiten kreativ aufgegriffen und stadtverträglich umgesetzt werden und nicht aufgrund einer bloß formalen oder hypothetischen Postulierung einer Stadtstruktur, die so gar nicht besteht.(...) Die GSW-Hochhauserweiterung versucht gerade dadurch die bstehende Situation städtebaulich aufzuwerten, indem sie das GSW- Hochhaus in ein Spannungsverhältnis zu dem neuen Hochhausbau treten läßt und darüber hinaus den Block 633 zur Kochstraße hin schließt.«
Dem Mut des Preisgerichte, diese Arbeit zu prämieren, und dem Mut der GSW, die Realisierung nun einzufordern, hat sich nur noch der Mut und der Wille der zuständigen Behörden zuzugesellen (und deren Akzeptanz der fachlichen Entscheidungsträger), die Ausführung des Projektes jetzt auch zu ermöglichen. Der Vorgang liegt momentan in der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen. Martin Kieren
Ausstellung in der Galerie aedes, S- Bahn-Bogen 600 am Savignyplatz, bis Anfang Februar
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