Konvertierte Leichenbeschauer

■ Gruftrock ist tot. Die wiedergenesenen Red Lorry Yellow Lorry sind trotzdem wieder auf Tournee

Gruftrock ist tot, definitiv. All seine Protagonisten sind entweder nicht mehr am Leben (Joy Divison) oder zur Elektronik konvertiert (auch Joy Divison), sind Pop (Siouxie and the Banshees), Biker-Rock (Sisters of Mercy), Metal (The Cult) oder gleich dem Singer/Songwriter-Syndrom anheimgefallen (Peter Murphy von Bauhaus). Red Lorry Yellow Lorry, vor neun Jahren in Leeds gegründet und auch damals schon zweite Garde, machten diesen Schritt mit Verzögerung, wahrscheinlich zu spät.

Aber jeder muß seine Erfahrungen selber machen. Das neue Zauberwort heißt Rock'n'Roll. Chris Reed, Sänger und Kopf von RLYL, liebt dieses Wort, immer wieder und mit Emphase spricht er es aus beim Interview. Die 1990er LP Blow war der Wendepunkt in der Bandgeschichte — für Chris Reed „der gute Zug, den die Band machte. Wir haben nie bewußt gesagt, wir seien eine Gruftie-Band, das waren die Journalisten. Blow war ein Statement gegen unser damaliges Image. All die Zeit hat die Band das gespielt, was sie wollte, und vielleicht waren wir damals ziemlich depressiv. Inzwischen sind wir definitiv in einer wesentlich optimistischeren Phase.“

Definitiv. Der erste Song der neuen Platte Blasting Off heißt This Is Energy. Beide Titel sind als Motto zu verstehen, und der Gig sollte mit letzterem beginnen. „Ich weiß, wo meine musikalischen Wurzeln sind. Ich bin 56 geboren, und als ich ein Kind war, hörte ich die ganze Zeit Rock'n'Roll.“

Bei RLYL machten zeitweise die Drogen die Musik, nicht die Musiker. Eine Verfahrensweise, die in Zeiten, in denen das Publikum meistens breiter ist als die Band (Ausnahmen wie die Happy Mondays bestätigen die Regel), ziemlich aus der Mode gekommen ist. Auch Chris Reed hat von der Idee des menschlichen Versuchslabors Abschied genommen: „Die Musik, die wir jetzt machen, ist viel offener und atmet mehr. Vorher hatten wir Scheuklappen, jetzt ist sie für die Leute da. Auch weil ich selbst mich wärmer und glücklicher fühle und nicht total fertig bin und noch mehr Speed brauche, um mich am Laufen zu halten. Speed macht dich kalt. Du denkst, du hast Energie, aber das ist künstlich.“

Yoga, Spazierengehen und regelmäßiges Essen waren Reeds persönliche Therapie, um von den Amphetaminen loszukommen. Auch der Rest der Band hatte ein Drogenproblem und ist drüber weg. „Auf der Bühne sind wir jetzt wie eine neue Band, als würden wir das erstemal zusammen spielen.“ Trotzdem steht er weiterhin zu den alten Sachen, denn „du kannst nicht bedauern, was du früher getan hast. Du kannst nur vorwärts schauen und davon lernen. Aber wir müssen nichts bedauern, denn wir haben nie Scheiße gemacht. Jedenfalls nicht für das Publikum. Uns haben wir ziemlich viel angetan, aber nie anderen.“

Reed wohnt seit einigen Monaten in Hamburg, einfach weil er einen Wechsel nötig hatte und durch Zufall dort landete. Die Band ist weiterhin in Leeds, aber das sei kein Problem, sagt er, eine Woche Proben waren genug. Beim Konzert ist dann vieles vom Gesagten vergessen, und das Wort Rock'n'Roll spricht sich nicht mehr so flüssig. Erstmal wird genebelt, die alten Rituale werden halt nicht so einfach auf den Müllhaufen der Musikgeschichte geworfen. Später dann, nachdem das Trockeneis verflogen ist, wird zwar Rock gespielt, aber immer noch ist viel Hall da, und über die ganze Strecke herrscht vor allem wohlige Depression, wie eine Erinnerung, ein Schatten aus den seligen Zeiten. to

Tourneedaten: 26.1. Wien, 27.1. München, 29.1. Münster, 30.1. Köln, 31.1. Hamburg, 1.2. Amsterdam, 5.2. Bremen.