Cossiga bricht mit DC

Staatspräsident beklagt mangelnde Rückendeckung/ Wahlgeschenk für Sozialisten und Neofaschisten  ■ Aus Rom Werner Raith

Neuer spektakulärer Schritt des italienischen Staatspräsidenten: in einem Brief an das Parteiorgan der Christdemokraten 'il Popolo‘ hat der 63jährige Francesco Cossiga angekündigt, daß er die seit Beginn seiner siebenjährigen Amtszeit 1985 verfassungsmäßig „ruhende“ Mitgliedschaft bei der DC nach Ablauf seines Mandats nicht wieder aufnehmen werde. In seiner Begründung führt das Staatsoberhaupt vor allem mangelnde Solidarität seiner Partei bei zahlreichen Skandalen und im Zuge seiner regelmäßigen Rundumschläge zu politischen Fragen auf: So habe ihn die christdemokratische Führung nur matt verteidigt, als er sich zu der durch keinerlei Gesetz gedeckten paramilitärischen Geheimstruktur „Gladio“ bekannt habe. Als ihn Untersuchungsrichter als Zeugen wegen rechtsterroristischer Attentate vorluden, habe man ebensowenig eine entschiedene Reaktion der größten Regierungspartei verspürt wie bei dem inzwischen von der größten Oppositionspartei, der „Partito democratico della sinistra“ (PDS) und anderen Gruppen eingeführten Amtsenthebungsverfahren wegen Verfassungsbruch und Hochverrat. Gleichzeitig fordert Cossiga die Rückkehr seiner Partei zu den „laizistischen Wurzeln der Nachkriegs-DC“, die im Gegensatz stünden zu der — zuletzt in einem Aufruf der italienischen Bischofskonferenz erkennbaren — Vereinnahmung der Partei durch die katholische Kirche.

Cossigas Aktion stellt den Höhepunkt seiner mittlerweile berühmten „Picconate“, der Pickelschläge gegen nahezu alle etablierten Parteien dar: lediglich die Sozialisten des neokonservativen Bettino Craxi und die Neofaschisten fanden bisher Gnade vor den Augen des 1985 mit der größten bisher erreichten Mehrheit vom Parlament gewählten Präsidenten (93 Prozent): Beide sind erklärtermaßen auf eine Zerstörung der demokratischen Nachkriegsverfassung zugunsten einer eher autoritären Präsidialrepublik aus.

Der Bruch mit der Democrazia cristiana wird fast einhellig als offenes Geschenk an die Sozialisten und Neufaschisten für die aller Wahrscheinlichkeit nach im April stattfindenden vorgezogenen Parlamentswahlen angesehen; möglicherweise auch als Versuch Cossigas, eine rechtsgewirkte Mehrheit für eine zweite Amtsperiode mit dem Ziel einer Verfassungsreform nach seinen und Craxis Vorstellungen durchzusetzen. Ein schwerer Eingriff in den beginnenden Wahlkampf ist die Erklärung des verfassungsmäßig zu absoluter Neutralität verpflichteten Staatspräsidenten allemal. Zu verteilen ist bei Neuwahlen die Kundschaft der ehemals bei fast 30 Prozent stehenden Kommunisten, deren Nachfolgeorganisation PDS noch immer keinen Tritt gefunden hat und durch Abspaltungen geschwächt ist. Gleichzeitig könnte der Schritt Cossigas die Erosion der Sozialisten im Norden der Republik etwas kompensieren: Dort haben die separatistisch- rassistischen, für den abstiegsängstlichen Mittelstand attraktiven „Ligen“ bei Regionalwahlen örtlich mehr als zwanzig Prozent eingeheimst und sind dabei auch kräftig in das Wählerpotential des PSI eingebrochen. Da sich die Propaganda der Ligen vor allem gegen die klientelorientierte, seit 45 Jahren ununterbrochen in der Regierung sitzende, DC richtet, könnte die stets an Cossigas Seite auftretende Sozialistische Partei einen Teil der Angriffe gegen die Christdemokraten übernehmen und den gemäßigten Flügel der „Ligen“ an sich bringen.

Entsprechend nervös hat die christdemokratische Partei reagiert: Ihr Generalsekretär Arnaldo Forlani, bisher eher auf ein Überbrücken bis zum Amtsende Cossigas aus, bezeichnete Cossigas Anschuldigungen als „schlichtweg ohne Fundament“ und äußerte Bitterkeit über den Schritt des einst unbestrittenen Hätschelkindes der Partei.