: Treuhand: Im Herbst geht's bergauf
■ Keine Massenentlassungen mehr/ Bundesanstalt für Arbeit: 1992 verlieren 300.000 Ostdeutsche ihren Job/ SPD: Viel zu optimistische Prognosen/ Kritik an Hermesbürgschaftsbeschränkungen
Berlin (taz) — „Das Schlimmste am Beschäftigungsgeschehen liegt hinter uns.“ So brachte gestern der Treuhand-Personalvorstand Alexander Koch die arbeitsmarktpolitische Bedeutung der Abwicklungsbehörde bürokratisch auf den Punkt. Für 1992 stehe keine große Entlassungswelle wie zum Ende des letzten Jahres mehr an, als auf einen Schlag 400.000 Kurzarbeiter auf die Straße geschickt wurden. Aber bis ins dritte Quartal wird es in den neuen Ländern eine „hohe Beschäftigungsproblematik“ geben, so Koch. Dann erst soll die Talsole erreicht sein und sich die Schere zwischen Arbeitsplatzabbau und der Schaffung neuer Jobs schließen. Heinrich Franke von der Bundesanstalt für Arbeit prognostiziert, daß in diesem Jahr weitere 300.000 Menschen in Ostdeutschland ihre Arbeit verlieren werden, bevor es ab Sommer wieder bergauf gehen soll. Und der Bundesregierungsentwurf zum Jahreswirtschaftsbericht rechnet mit einer Steigerung der Arbeitslosenquote in den neuen Ländern von 11 auf 17 Prozent. Die SPD hält diese Zahlen aber für weitaus zu optimistisch: Sozialexperte Dreßler geht davon aus, daß in den neuen Ländern tatsächlich 3,5 Millionen „vollwertige“ Arbeitsplätze fehlen und die Quote der Arbeitslosen schon heute tatsächlich bei über 20 Prozent liegt.
Anfang letzten Jahres hatte die Treuhand mit 4,08 Millionen Beschäftigten angefangen. Inzwischen sind nur noch 1,65 Millionen beim größten Firmenkonsortium der Welt angestellt, rechnete Alexander Koch gestern vor. Für eine Million habe die Treuhand verbindliche Zusagen von den Käufern der 5.000 inzwischen privatisierten Betriebe heraushandeln können, 336.000 mußten sich beim Arbeitsamt melden. 220.000 Angestellte aus Treuhandbetrieben wurden in den Vorruhestand geschickt, 235.000 in ABM und anderen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen untergebracht, 370.000 kamen in einer anderen Firma unter oder machten sich selbständig. Als Pendler und Umzügler veranschlagt Koch 270.000 ehemals bei der Treuhand Beschäftigte. Weil Frauen besonders hart von den „schlimmen Maßnahmen“ der Treuhand betroffen sind, „obwohl ihre Qualifikation sehr hoch ist“, soll jetzt eine Frauenbeauftragte Vorschläge für Förderungsmaßnahmen erarbeiten, kündigte Koch an.
Der Personalvorstand der Abwicklungsgesellschaft verhehlt durchaus nicht, daß er die diese Woche vom Bundeskabinett beschlossene Kürzung der Hermesbürgschaften für Exporte in die neuen GUS- Staaten negativ einschätzt: „Die Chancen der Treuhandbetriebe hängen stark vom Handel mit Osteuropa ab.“ Das Geschäft mit den ehemaligen RGW-Ländern müsse „wieder aufgeforstet“ werden, weil die ostdeutsche Wirtschaft Keine Chance habe, sich auf dem Westmarkt zu behaupten. Annette Jensen
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