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Bund soll Abschiebungen übernehmen

■ Im dritten Anlauf wollen Koalition und SPD ein neues Asylverfahrensgesetz abstimmen/ CDU beschloß, erneut einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes in den Bundestag zu bringen

Bonn (dpa/ap/taz) — In einem letzten Anlauf wollten gestern die Koalitionsfraktionen und die SPD einem neuen Gesetz zur „Beschleunigung der Asylverfahren“ den letzten Schliff geben. Strittige Punkte waren nach Angaben von Teilnehmern die Zuständigkeit des Bundes von der Stellung eines Asylantrages bis zur Abschiebung des abgelehnten Bewerbers, die Größe der Sammellager und die Bereitstellung von Bundeswehrkasernen.

Bundesjustizminister Kinkel verließ die Sitzung nach sechs Stunden in der Erwartung, daß der „tote Punkt“ überwunden sei. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Johannes Gerster hatte zuvor erklärt, die Frage der juristischen Zuständigkeiten sei Dreh- und Angelpunkt der Meinungsunterschiede zwischen der Unionsfraktion sowie FDP und SPD. „Hier steht die Sache auf der Kippe“, sagte Gerster. Nach der bisher gültigen Regelung ist der Bund bei den Asylverfahren bis zur Abschiebungsverfügung zuständig. Für die eigentliche Abschiebung sind die Länder verantwortlich. Niedersachsens Ministerpräsident Schröder (SPD) hatte erst jüngst seine Partei heftig kritisiert, daß sie nicht genug auf eine „Vollkonzentration“ der Verfahren in der Zuständigkeit des Bundes gedrängt hätte. Bundesinnenminister Seiters lehnte dagegen diese Forderung auch gestern ab. Man könne nicht die gesamte Verantwortung auf den Bund abwälzen, dazu wäre eine Behörde in der Größe der Bundeswehr nötig, meinte Seiters.

Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Hans Gottfried Bernrath (SPD), vertrat jedoch gestern den Standpunkt seiner Partei, die beschleunigten Asylverfahren müßten in einer Hand bleiben, denn nur so könne es zu schnell vollstreckbaren Abschiebungsverordnungen kommen. In der Frage der kostenlosen Bereitstellung von Kasernen als Sammelunterkünfte — einer der Streitpunkte in den zwei vorausgegangenen Gesprächsrunden — war nach Meinung Gersters eine Verständigung wahrscheinlich.

Die Gespräche in der nordrhein- westfälischen Landesvertretung standen unter dem Eindruck einer Entscheidung der Unionsfraktion vom Vorabend, bis Anfang März im Bundestag einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzartikels16 („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) zu stellen und darüber zusammen mit der Ratifizierung des Schengen-Abkommens im Juni abstimmen zu lassen. Diese Entscheidung der Unionsfraktion hatte sowohl beim Koalitionspartner FDP wie auch bei der SPD zu Unmut geführt. Vor allem die FDP beklagte, dies sei ein eindeutiger Bruch der Koalitionsabsprachen. Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Irmgard Schwaetzer kritisierte den Beschluß als „bewußte Provokation des Koalitionsfriedens“. Der Konflikt um das Asylrecht werde die Koalition nicht sprengen, aber durch diesen Schritt des Koalitionspartners werde „die Lösung anderer Streitpunkte erschwert“, sagte die Bundesbauministerin. Im übrigen sei dieser Beschluß für eine Partei, die sich christlich nenne, „schwer verständlich“.

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